: Harry, ein Dichter zum Liebhaben
■ Schreiben, schreien, sesselnässen: Dagmar Papula phantasiert über die letzten Stunden des Exilschriftstellers Heinrich Heine in seiner Matratzengruft
Da sitzt ein Mann auf der Bühne, rückt fluchend in seinem Sessel hin und her, ordnet erfolglos Nachthemd, Morgenmantel und Nachthaube, flucht wieder, greift zur Feder und schreibt und liest und denkt und schreibt. Das soll Heinrich Heine sein? Ja, ja, es soll. Heinrich Heines Todesnacht, der Sensenmann hat ihn um den Schlaf gebracht.
Eine Februarnacht in Paris 1856 dank Dagmar Papula hier und jetzt und live auf der fast leeren Bühne des Theaters am Leibnizplatz. Die Leiterin des Genueser Goethe-Instituts hat das Haupt der Dramatikerwerkstatt der Bremer Shakespeare Company laut Programmheft dazu „verführt“, im Heine-Jahr zwei Jahrhunderte nach seiner Geburt einen, diesen Abend namens „Heinrich Heine, die Dame und der Tod“zu „machen“. Heine lebt. Also. Und noch.
Seit acht Jahren siecht der deutsche Jude Harry (Christian Dieterle), der emigrierte Sohn einer Düsseldorfer Millionärsfamilie, in der „Matratzengruft“an seiner Krankheit. Nun brechen an seine letzten Stunden. Schreibend, manchmal schreiend und zum Ärger der liebevollen Wärterin (Susanne Höhne) gelegentlich auch sesselnässend verbringt er sie, bis ihm der Tod (Dagmar Papula) erscheint und das eigentliche Spiel beginnt: Heine reißt den Tod zu einer Arbeitspause hin, der verwandelt sich in eine Dame, und schon lassen sie sein Dichterleben in Dichterworten ausschnitthaft Revue passieren.
Der Collagistin Papula taugt der Lebenslauf leidlich als Spannungsbogen, zu dem Christopher Brandt als rauchender Mann mit Hut Gitarrenspiel und vor allem -percussion beiträgt. An den Stationen Kindheit, Aufbruch, Reisen und Exil macht die von Barbara Kratz einstudierte Papula-Revue halt, um den Menschen Heine als Sohn, Spötter, Individualisten und Mann, der für Frauen schwärmte und Preußen haßte, vorzustellen. Ihr Auftritt als Tod/Dame ist jedoch kaum mehr als Vorwand, denn bis auf einige Lachanfälle und wenige Momente lasziven Vertrautseins spielt sich zwischen ihr und Christian Dieterle alias Heine wenig ab. Er indes, der sonst zum Overacting neigende Dieterle, scheint in der Heine-Rolle kontrolliert. Zwar läßt er so manche Schmerzensäußerung und Altersschwäche aufgesetzt wirken, doch setzt er durchaus Höhepunkte. Vor allem sein Vortrag der Wahlesel gelingt ihm regelrecht vorzüglich, indem er sie zunächst als Büttenrede färbt und ihr dann Satz für Satz mehr Adolf-Hitler-Duktus beimengt. Schon bald danach ist alles vorüber, es schließt der Tod als Abgang von Mann und Frau auf zu unbekannten Abenteuern.
Ganz unzweifelhaft erwerben sich Dieterle, Papula und Co mit ihrem grundsoliden, aber auch kreuzbraven Stück das Verdienst, wieder zum Heine-Lesen zu verführen. Dort allerdings und vor allem in den Biographien entdecken sich auch die Schwächen des Konzepts. Daß viele Gedanken ungeschrieben blieben, weil Heines Familie ihm das Almosen zu streichen drohte, ist hier keine Rede wert. Auch daß nach dem Tod Schriften unbekannter Zahl und Güte vernichtet wurden, findet keine Erwähnung. Diese Form literarisch-biographischen Theaters, von dem es landauf landab ungezählte ähnliche Versionen gibt, rückt mit dem „authentischen“Szenario des Sterbezimmers ein Interesse für den Menschen XY – hier für Heine – in den Vordergrund. Die Frage, was Heine wohl anno 1997 zu sagen hätte, wird zugunsten einer phantasierten Liebschaft vernachlässigt.
Noch mehr als Margarethe von Trotta, die in ihrem Rosa-Luxemburg-Film die menschlich-bürgerlichen Seiten der Revolutionärin betonte, menschelt dieses Stückchen Theater. Heine verformt sich zum Kritiker längst vergangener Verhältnisse. Seiner Zähne beraubt, bleibt Heine bloß ein Dichter zum Liebhaben.
Christoph Köster
Weitere Aufführungen am 17. und 25. Oktober sowie am 5. November um 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen