Historischer Händedruck in Belfast

Zum erstenmal seit einem Dreivierteljahrhundert wollte gestern ein britischer Premierminister direkt mit dem Chef von Sinn Féin sprechen – ein Drahtseilakt, um Nordirlands Konfliktparteien bei Laune zu halten  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der historische Handschlag fand hinter verschlossenen Türen statt. Der britische Premierminister Tony Blair wollte gestern im Rahmen der nordirischen Friedensgespräche in Belfast mit Sinn- Féin-Chef Gerry Adams zusammentreffen. Es war das erste Mal seit den Verhandlungen über die Teilung Irlands vor mehr als einem Dreivierteljahrhundert, daß ein britischer Regierungschef mit dem politischen Flügel der IRA direkten Kontakt hatte.

Das Gespräch, über dessen Inhalt nichts bekanntgeworden ist, sollte zehn Minuten dauern. Genauso lange sprach Blair mit den anderen beteiligten Parteien. Durch den Ausschluß der Öffentlichkeit sollte die Kritik der Unionisten, die für die Union Nordirlands mit Großbritannien eintreten, auf ein Minimum begrenzt werden. Doch Sammy Wilson, der ehemalige Belfaster Bürgermeister von Pfarrer Ian Paisleys Partei, beschuldigte Blair, er sende „ein Signal aus, daß Terroristen von Demokraten akzeptiert werden, egal wie sie sich verhalten“. Und der Tory-Sprecher für nordirische Angelegenheiten, Andrew Mackay, sagte: „Auch Präsident Clinton hat Adams die Hand geschüttelt, und kurz danach endete der IRA-Waffenstillstand mit der Bombe in den Londoner Docklands.“

Blairs Stippvisite in Belfast war Teil seines Drahtseilaktes, um beide Seiten in Nordirland bei Laune zu halten. Dazu gehört auch die Ankündigung, daß sich die britische Regierung für den „Bloody Sunday“ entschuldigen wolle, bei dem 1972 Fallschirmjäger vierzehn unbewaffnete Teilnehmer einer Bürgerrechtdemonstration erschossen hatten. Ein Untersuchungsbericht der irischen Regierung, der im Sommer veröffentlicht worden ist, hat die britische Version, es habe sich um Notwehr gehandelt, eindeutig widerlegt.

Die Lage in Nordirland ist jedoch nach wie vor angespannt, vor allem, was die Paraden angeht. Seit mehr als einem Jahr stören loyalistische Demonstranten die katholische Samstagsmesse in dem kleinen Ort Harryville, weil ihr Triumphmarsch durch den katholischen Nachbarort Dunloy im Sommer 1996 verboten worden ist. Am Sonntag kam es in Maguiresbridge zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Loyalisten, die versuchten, eine katholische Parade zur Erinnerung an die Rebellen von 1798 zu blockieren.

Die britische Regierung hat einen Ausschuß eingesetzt, der eine Lösung für die umstrittenen Paraden finden soll. Vorgestern ist jedoch durchgesickert, daß dieser Ausschuß viel größere Befugnisse haben wird als erwartet. So kann er nicht nur politische Märsche umleiten oder verbieten, sondern auch Veranstaltungen des traditionellen irischen Sportverbandes, der Gaelic Athletic Association. Darüber hinaus kann der Ausschuß die jeweiligen Nationalflaggen entfernen lassen sowie die Bemalung der Rinnsteine in den Nationalfarben, die auf beiden Seiten weit verbreitet ist, untersagen.

Die katholischen Sozialdemokraten warnten, daß diese Maßnahme den Konflikt nur verschärfen werde. Ihr Sprecher Mark Durkan sagte: „Wenn man eine falsche Gleichung zwischen den Paraden und dem Ausdruck kultureller Identität aufstellt, ermutigt man geradezu eine Taktik, bei der es Auge um Auge geht.“ Kommentar Seite 12