„Motivation ist wichtiger als jede Schulnote“

■ Auf der Suche nach einem Studienplatz touren die Bewerber durch ganz Deutschland

Leipzig (taz) – Andreas Hägerich ist Experte. Experte für Eignungstests. Für sein Traumstudium Architektur absolvierte der 22jährige fünf Eignungstests. In Münster, Düsseldorf und zweimal in Detmold lieferte er eine umfangreiche Mappe mit 20 Zeichnungen ab. Dann durfte er vorzeichnen und wurde von zwei bis drei Professoren ausgefragt. Dafür gab es Noten. Einen Studienplatz hat er bei diesen Tests nicht gefunden, aber manche Bekanntschaft geschlossen. „Man sieht in jeder Stadt die gleichen Gesichter.“

Der innerdeutsche Tourismus von Studienplatzbewerbern wird bald noch stärker boomen. Noch gilt für die meisten Fächer der Numerus clausus. Abiturnote und Wartesemester entscheiden, wer Psychologie, Jura oder Lehramt für Grundschulen studieren darf. In Zukunft wird jedoch auch hier geprüft. Die gerade im Bundestag verhandelte Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ermuntert die Unis, bis zu 20 Prozent ihrer Bewerber selbst auszuwählen. Wie das organisiert werden soll, weiß heute noch niemand.

„Wir machen uns ganz bewußt keine Gedanken“, sagt Dr. Friedrich Plümer, Chef der Akademischen Verwaltung in Leipzig. Während Bildungspolitiker ihre Liebe zu Auswahlverfahren aller Art entdecken, bleibt der Mann der Praxis skeptisch. Ein hoher Aufwand stehe einer oft geringen Signifikanz gegenüber, meint Plümer. Dennoch wachse bei vielen Wissenschaftlern die Bereitschaft, potentielle Studenten zu prüfen. „Das Abitur ist im Prinzip noch akzeptiert, im Grenzbereich wird ihm immer weniger vertraut.“

In der Medizin etwa wird Zulassung eigentlich durch NC erteilt. Aber 20 Prozent der Studienplätze werden durch einen Test vergeben. Die ZVS bietet pro Platz drei Bewerber an, die Hochschule wählt einen. „Das führt zu einer Verschiebung der Kriterien“, sagt Plümer. In Auswahlgesprächen erkenne man die Motivation der Bewerber. „Und Motivation ist den Wissenschaftlern heute wichtiger als jede Schulnote.“

Auch Professor Ingo Andreas Wolf interessiert sich nicht für die schulischen Leistungen seiner Studenten. 120 Studienplätze im begehrten Fach Architektur vergeben Wolf und seine Kollegen von der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur jedes Jahr. Streß gebe es dabei weder für die Fachhochschule noch für die über 500 Bewerber. Jeder Abiturient kann sich testen lassen. Arbeitsproben oder Zeichenmappen muß man nicht vorweisen. Die Prüfung solle locker über die Bühne gehen. „Fragen gibt es hier nicht. Wir machen Angebote.“ Etwa: „Zeichnen Sie einen Innenraum, der Sie bei Ihrem letzten Urlaub besonders beeindruckt hat.“

Wissen sei gar nicht so gefragt, eher Originalität. „Bei dem Stichwort Bauhaus soll ein Student ruhig die Heimwerkermärkte vor der Stadt beschreiben“, sagt der Architekturprofessor. Über die Zulassung entscheiden allein die Professoren. Kein Punktsystem suggeriert Objektivität. Nicht einmal Endnoten werden verteilt. Einfach „aufgenommen“ hieß es auch für Andreas Hägerich.

Die alternative Auslese verändert die Studentenschaft. Ungewöhnlich viele Frauen studieren in Lepzig Architektur. Natürlich sei diese Form der Eignungsprüfung nur „ein grobes Sieb“, meint Wolf. Dennoch zieht er „diese Krücke“ jedem NC-Verfahren vor. „Wir bestimmen lieber das Sieb, nicht irgendein gymnasiales System.“ Robin Alexander