„Den Grünen droht kein Absturz“

■ Ludger Volmer, außenpolitischer Experte der Grünen und Vertreter des linken Flügels, zur harschen Kritik von Joschka Fischer am Wahlprogramm

taz: Den Grünen drohe bei der Bundestagswahl ein Absturz, prophezeit Joschka Fischer, sollte die Partei mit dem jetzigen außenpolitischen Programm antreten. Wohin stürzen die Grünen denn?

Ludger Volmer: Den Grünen droht nur dann ein Absturz, wenn es führende Vertreter nicht lassen können, die Partei runterzureden. Mit dem außenpolitischen Teil unseres Wahlprogramms können wir 1998 ganz gut bestehen, zumal es ja nur ein erster Entwurf ist.

Kleine Korrekturen dürften den Kritikern in der Partei nicht reichen. Die sprechen von einem „Rückfall in die achtziger Jahre“.

Die Leute um Joschka Fischer haben in den letzten Jahren gegen die Mehrheit der Partei versucht, über die Medien eine andere, eine angepaßte Außenpolitik zu lancieren. Jetzt sehen sie, daß diese Strategie an ihre Grenzen stößt, und reagieren verärgert.

Fischer fordert, die Partei dürfe keine Forderungen mehr aufstellen, von denen sie sich bei der Kompromißsuche in Koalitionsverhandlungen wieder verabschieden müßte. Im Wahlprogramm steht: Halbierung der Bundeswehr innerhalb von vier Jahren, später die Abschaffung der Armee, die Nato-Osterweiterung wird abgelehnt und die Auflösung der Nato als Ziel genannt. Die SPD wird begeistert sein.

Zum einen sind es Forderungen, die in der Gesellschaft bereits mehrheitsfähig sind – etwa die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Zum anderen sind es langfristige Zielperspektiven – eine militärische Politik soll durch eine zivile ersetzt werden. Das sind keine tagespolitischen Forderungen, und das kann man der Öffentlichkeit auch plausibel vermitteln. Wenn man allerdings beleidigt ist, weil die Partei einem öffentlich formulierten Führungsanspruch nicht blindlings folgt, dann kann man das wohl nicht mehr auseinanderhalten. Es macht doch keinen Sinn, ein Programm zu schreiben, in dem alle möglichen Kompromisse einer späteren Koalition schon vorweggenommen sind.

Das verlangt auch keiner. Aber Sie müssen mit der SPD nicht über langfristige Perspektiven reden, sondern über ein Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre. Abschaffung der Bundeswehr oder Auflösung der Nato – da wird nichts zu verhandeln sein.

In unserem Programm steht nicht einfach Abschaffung der Nato oder der Armeen.

Als langfristige Ziele sind beide ausdrücklich genannt.

Als langfristiges Ziel wird eine gesamteuropäische Friedensordnung genannt, und die ist nur denkbar, wenn die Blöcke aufgelöst werden; einen Block gibt es bereits nicht mehr. Es sind genau diese Klischees, es ist diese Reduzierung auf hohle Formeln, die unsere eigentlichen Absichten karikieren sollen und die der Partei schaden. Ich erlebe auf internationalen Konferenzen, etwa bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, daß wir viele unserer Punkte dort in den Dokumenten unterbringen: etwa die Forderung nach atomwaffenfreien Zonen oder das Verbot von Landminen.

Daß die Grünen eine zivile Konfliktbewältigung fordern, interessiert die Kriegsparteien in der Welt herzlich wenig. Selbst wenn ganz Europa rot-grün regiert wäre, sagt Ihr Parteifreund Cohn- Bendit, wird es Konflikte geben, die nicht zivil zu lösen sind.

Cohn-Bendit sagt, es wird Konflikte geben, die prinzipiell nicht lösbar sind – da stimme ich ihm zu. Nehmen Sie nur den über hundertjährigen Nahostkonflikt. Es sagt doch keiner, daß die Transformation der europäischen Sicherheitspolitik ein Konzept ist, mit dem über Nacht alle Probleme gelöst werden. Aber es wäre fatal, wenn sich auch in Zukunft immer wieder die Vertreter konservativer Außenpolitikmodelle durchsetzen würden. Wenn man keine langfristigen Perspektiven hat, dann kann man nicht mal mehr pragmatisch handeln – es fehlt einem nämlich die Richtung, in die man gehen will. Man entscheidet so, wie's gerade kommt. Interview: Jens König