Analyse
: Traditionelle Doktrin

■ US-Präsident Clinton will Europa aus Lateinamerika herausdrängen

Lateinamerika wurde für die USA meist erst durch Einmischung von außen interessant – ganz in der Tradition der Monroe-Doktrin, die 1823 das Prinzip der Nichteinmischung europäischer Mächte auf dem amerikanischen Doppelkontinent erklärte. Eine neue Epoche der Beziehungen zwischen Nord- und Südamerika brach erst durch die Revolution in Kuba an. Kennedy reagierte damals nicht nur mit Invasionsplänen, sondern mit der 1961 enthusiastisch vorgetragenen „Allianz für den Fortschritt“, einem Milliardenprogramm zur Förderung von Strukturveränderungen und Demokratisierung in Lateinamerika.

Die Lateinamerikapolitik der USA konnte sich nie aus der Unterordnung unter ein einziges Ziel lösen, der Isolierung Kubas und dem Sturz des Castro-Regimes. Und was sich bis heute in Lateinamerika mal mehr, mal weniger friedlich umgewälzt hat, geschah entweder ohne die USA oder gar gegen deren Willen. In dieser Tradition aus Dominanzanspruch, Intervention und Vernachlässigung muß man Clintons Besuch in Lateinamerika sehen, der wiederum eine neue Epoche der Beziehungen einleiten könnte. Clintons Versuch, an die Politik seines Idols und Vorgängers Kennedy anzuknüpfen, geht heute von anderen Voraussetzungen aus. Der Kalte Krieg ist zu Ende und Lateinamerika nicht mehr dessen Schlachtfeld. Kuba wirkt eher wie ein Relikt, und Gefahr geht für die USA heute eher davon aus, daß die in Lateinamerika entstehenden Märkte von Europa beliefert werden könnten. Die Zusammenfassung des gesamten amerikanischen Doppelkontinents in einen dem Europäischen vergleichbaren Gemeinsamen Markt ist dabei eine Idee, die auf die Präsidenten Ronald Reagan und George Bush zurückgeht. Die Widerstände im eigenen Lande waren und sind erheblich – und genauso irrational wie die Ängste vor der kommunistischen Gefahr. Die Debatte um die Erweiterung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) zur Amerikanischen Freihandelszone (Afta) ist hoffnungslos ideologisiert. Die Gewerkschaften und Teile der Demokratischen Partei tun so, als bedeuteten Freihandelsabkommen den Untergang der Fertigungsindustrie in den USA, während Befürworter das Schreckensbild europäisch-lateinamerikanischer Handelsbeziehungen an die Wand malen, aus denen die USA ausgeschlossen wären. In der Tat wachsen US-amerikanische Exporte nach Lateinamerika doppelt so schnell wie die in andere Weltregionen, machen dabei aber, Mexiko nicht mitgerechnet, nur 52 Milliarden Dollar aus – bei einem Gesamtexportvolumen von 600 Milliarden Dollar.

Clintons Reise ist in erster Linie ein Public-Relations-Unternehmen, um Clintons Antrag auf Vollmachten zum Aushandeln weiterer Freihandelsabkommen innenpolitisch zu stützen. Nach außen soll der Anspruch der USA unterstrichen werden, erster Handelspartner Lateinamerikas zu sein. Von Kennedys Pathos ist das weit entfernt – eher schon eine Neufassung der Monroe-Doktrin unter den Bedingungen der Globalisierung. Peter Tautfest, Washington