Kein Wunder von Leipzig

■ Helmut Kohl kann die Perspektivlosigkeit nicht ausfüllen

Das Wunder hat sich wieder einmal ereignet. Helmut Kohl hat die Delegierten des CDU-Parteitags zu einer kämpferischen Einheit zusammengeschweißt. Donnernder Beifall übertönt die Kritiker. Die Partei steht hinter ihrem Kanzler. Gemeinsam wird der Sieg zu schaffen sein.

Diese Wertung der Rede des CDU- Vorsitzenden wünschen sich die Strategen des Leipziger Parteitags. Im Vorfeld der Tagung haben sie sorgfältig alles auf dieses Ziel hin geplant, unabhängig vom Inhalt der Ansprache und der Tagesform des Kanzlers. Die Bilder von stehenden, minutenlang applaudierenden Delegierten erwecken den Eindruck einer erfolgreichen Regie. Der Eindruck täuscht.

Helmut Kohl hat gestern ein solides Stück Arbeit abgeliefert, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es hätte einer außergewöhnlich schlechten Rede bedurft, um die zum Beifall entschlossenen Delegierten von stehenden Ovationen abzuhalten. Aber es ist fraglich, ob das kurze, beglückende Gemeinschaftsgefühl in Leipzig über den Tag hinaus trägt.

Objektiv hat sich seit Monaten an der düsteren Lage der CDU vor Beginn des Wahlkampfs nichts geändert. Wichtige Reformvorhaben sind gescheitert. Die Umfragen zeigen die Koalition nach wie vor im Tief. Selbst der relative Wahlerfolg im Stadtstaat Hamburg läßt sich kaum zur Trendwende stilisieren.

Was bleibt Delegierten eines CDU- Parteitags unter diesen Umständen elf Monate vor der nächsten Bundestagswahl? Das Prinzip Hoffnung und die Gabe der Erinnerung. 1994 habe auch alles ziemlich trostlos ausgesehen, und dann habe Helmut Kohl es eben doch packen können. Viele CDU-Vertreter verwiesen darauf beschwörend schon im Vorfeld des Parteitags. Derartige Reminiszenzen zeugen von gläubigem Hoffen auf persönliches Charisma, nicht von Vertrauen in überzeugende Konzepte.

Wenn die Regierung die Wahl noch einmal gewinnen will, dann muß der Bundeskanzler seine Überzeugung und sein Konzept so zündend vortragen, daß ein Abglanz seines Engagements bei der Basis ankommt und dort Argumentationshilfe liefert. Das hat Helmut Kohl gestern nicht geschafft. Wann immer er nicht vom Wahlkampf, sondern zu Sachthemen sprach, versank der Parteitag in dumpfe Müdigkeit. Der Applaus wurde spärlich. Das Wunder hat sich nicht ereignet. Bettina Gaus