Hingebungsvoll eingelegte Sünden

■ Charmant, beschaulich, pornographisch: Die 8. Lesbisch-Schwule-Filmtage in Metropolis und Neues Cinema

Ein Hintern geht auf wie ein Mond. Er wird rasiert. Ruhig und mit einer Mischung aus chirurgischer Präzision ritueller Feierlichkeit. Hochzeitsvorbereitungen eines Anus. Doch der müde Geliebte zieht sich immer wieder das T-Shirt aus, um der Erinnerung des Verlassenen einen Gefallen zu tun und verschwindet. Ein Zwischentitel trauert. Die Kamera streichelt die Überbleibsel der Liebesgeschichte. Ein Turnschuh, ein gerippter Schlüpfer, ein Seufzen.

Der Kurzfilm The Screen Test von dem US-Amerikaner Nguyen Tan Hoang ist das visuelle Logbuch eines Verlassenen, der sich seiner Wehleidigkeit nicht schämt und sich vor biologischer Anschaulichkeit nicht scheut. Ein unangestrengtes Experiment, das schwule Lust, Alltag und Verletzung noch einmal im Stil der 70er und einem Setting, das an Andy Warhol erinnert, anarchische Funken schlagen möchte. „Pornographisch und charmant“, faßt Jost Schocke, der bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen die Öffentlichkeitsarbeit übernommen hat, die 17-Screen-Test-Minuten zusammen.

Andere Beispiele, schwule oder lesbische Lebenswelten als Abgrenzung, als das Andere zu zelebrieren, finden sich bei den 8. Lesbisch-Schwulen Filmtagen (15.-19.10.) zumeist in den Kurzfilmblöcken, die nach der Trophäe „Ursula“für den besten schwulen oder lesbischen Minutenfilm benannt sind. „Ursula“, wieder von Birgit Neppl hingebungsvoll gestaltet, erscheint in Form eines eingelegten Sündenadams und einer stückchenweise im Maschendraht turnenden Barbie.

Sorgen vor allem die Kurzfilme für Entdeckungen, Überraschungen, Unverschämtheiten, Zumutungen oder wenigstens für Pornographie, scheinen die Spielfilme eine gewisse Binnenschau und Genügsamkeit widerzuspiegeln. Aids-Dramen wie Indian Summer, die dokumentarische Versuchsanordnung Visiting Desire, in der alle möglichen Formen von Sex und Befriedigung von Beth B. auf den Objektträger ihrer Kamera gelegt werden, hysterische Komödien wie Hot Roof oder Pasajes, der die großspurigen Gesten und kleinmütigen Sehnsüchte seiner Figuren in eine surreale Industrielllandschaft tunkt, fahnden nicht nur nach einer binnenperspektivischen Bildsprache, sondern auch nach einer neuen Demarkationslinie zum Mainstream. Denn der hat Schwule und Lesben als PC-Faktor mit noch nicht ganz verbrauchter Exotik längst in seinen Olymp gehievten. „Vielleicht ist die Szene momentan eher nachdenklich denn radikal. Und manche feiern wohl auch ihr Recht auf Bürgerlichkeit“, grübelt Schocke, „Politisch Brisantes wird heute eher in den Medien debattiert. Und gerade bei den Jüngeren ist man nicht mehr einfach schwul, sondern koppelt dies mit Lebensgefühlen bspw. aus der Party- oder Technoszene. Genau darum geht es auch in dem Film Shampoo Horns.“

Zu den Highlights der Lesbisch-Schwulen Filmtage zählen neben Pasajes, Pianese Nunzio von Antonio Capuano, der mit Anleihen bei Pasolini in sorgfältig komponierten Tableaus von der verbotenen Liebe eines Priesters zu einem 14jährigen erzählt. Die Dokumentation Licensed to kill des US-Amerikaners Arthur Dog besucht Häftlinge, die Schwule abgemetzelt haben, und stößt dabei auf fatale Verzahnungen von religiöser Inbrunst, abgeklemmter Lust und enthemmten Selbsthaß.

Daß Querbild e.V., der Träger der Filmtage, nach allen Querelen über Struktur, Geldnot, Verwaltung und schließlich Austritten im Frühjahr noch ein so vielfältiges Programm auf die Beine gestellt hat, ist schon ein kleines Kunststück. „Ein Kompromiß“, findet Jost Schocke,“wir mußten uns auf aktuelle Filme beschränken, und dabei die finanziellen Risiken, – wir werden mit 30 000 Mark von der Kulturbehörde gefördert– so gering wie möglich halten. Beiträge zur schwul-lesbischen Filmgeschichte mußten dran glauben, Retrospektiven, Revuefilme, das wäre alles viel zu teuer geworden.“Gerne würde die VeranstalterInnen ihr Stammpublikum, das sich bei etwa 7.000 Besuchern eingependelt hat, erweitern. „Es wäre schön, wenn mehr Heteros kämen. Doch wenn man mehr erreichen will, müßte man sein Konzept überdenken.“Doch vor eventuellen Festivalsnamensänderungen und sprunghaftem Heterozuwachs werden hoffentlich noch manche Hintern mit ungebrochenem Stolz und mit dem Mond aufgehen. Birgit Glombitza

Erö ffnung heute mit „Ursula 1“und dem Spielfilm „It's in The Water“, ab 20 Uhr, Metropolis