Erlösung per Tötung?

■ Landgericht verurteilt 45jährigen zu einem Jahr auf Bewährung, weil er versucht hatte, ein behindertes Neugeborenes zu töten

Er wolle seinen schwerkranken Neffen noch einmal sehen, ehe er nach Fuhlsbüttel fahre, hatte Dirk-René H. an diesem Abend Anfang Februar gesagt. Die Krankenschwester ließ ihn daraufhin zu dem Neugeborenen auf die Intensivstation. Erst im Nachhinein wurde klar, daß Dirk-René H. mit Fuhlsbüttel nicht den Flughafen, sondern das dortige Gefängnis gemeint haben mußte. Er versuchte, das Kind mit einer mit Luft gefüllten Spritze zu töten. Gestern wurde der 45jährige daher vom Landgericht zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Das Gericht sprach von einem „minderschweren Fall“, da die geringe Luftmenge in der Spritze nicht lebensbedrohlich war. Ehe Dirk-René H. den Hals des Babys traf, konnte ihm eine Ärztin die Spritze aus der Hand schlagen. Das Kind starb einige Wochen später an seinen Behinderungen.

Der kleine Mirco war ohne die Intensivmedizin nicht lebensfähig. Seine Eltern hatten bereits mit den ÄrztInnen darüber gesprochen, ihn nicht unbegrenzt künstlich am Leben zu erhalten. Doch darüber setzte sich der Onkel hinweg – ohne mit Mircos Eltern auch nur einmal über das kranke Kind gesprochen zu haben. Den Kontakt hatte er seit der Geburt gemieden, denn „ich wußte nicht, ob ich der Mutter gratulieren oder mein Beileid aussprechen sollte.“

Entgegen seiner Behauptung, er habe „Mirco und die Familie erlösen wollen“, erkannte die Staatsanwältin eine „erschreckende Einschätzung gegenüber dem behinderten Kind“. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Mann von dem Säugling als einem „undefinierbaren Wesen“gesprochen.

Das Gericht gestand Dirk-René H. zu, er habe wohl gemeint, im Interesse der Familie zu handeln. Allerdings verfüge er auch über ein „gewisses Maß an Selbstdarstellung“. Unmittelbar nach der Tat hatte er nämlich nicht nur nach der Polizei, sondern auch nach der Bild-Zeitung verlangt.

Die Staatsanwältin hatte eine zweijährige Bewährungsstrafe beantragt. Daß Dirk-René H. nur zu einem Jahr verurteilt wurde, begründete das Gericht mit einem vergleichbaren Fall, über den die Kammer vor zwei Wochen entschieden hatte. Damals war das schwerbehinderte Kind zu Tode gekommen (taz berichtete). Nicht ein Onkel, sondern der Vater hatte gehandelt und zwar nachts im Affekt, als er die Krampfanfälle und das stundenlange Schmerzgeschrei des Kindes nicht mehr aushielt. Er wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Dazu habe man eine angemessene Distanz finden müssen, erklärte Richter Manfred Luckow gestern. Elke Spanner