Der Pillenstreß bleibt

Sechster Europäischer Aids-Kongreß in Hamburg: Medikamentenmix ist immer noch die beste Therapie. Neue Konzepte haben ihre Tücken  ■ Von Lisa Schönemann

Den Kampf gegen die Immunschwäche Aids werden die HIV-Forscher auch in diesem Jahr nicht gewinnen. Das Virus, das sich wie ein Chamäleon wandelt, hat die Nase noch immer vorn. Dennoch zeichnet sich auf dem 6. Europäischen Aids-Kongreß, der heute in Hamburg zu Ende geht, hie und da ein Hoffnungsschimmer für HIV-Positive ab.

David Ho vom Aids-For-schungszentrum in New York beispielsweise stellte gestern eine Studie vor, nach der 99 Prozent der Viren mit seiner Strategie eliminiert werden können. Der HIV-Forscher setzt vier Präparate ein, die bereits unmittelbar nach einer Infektion eingenommen werden sollen. Allerdings verstecken sich letzte Bastionen des Erregers anschließend immer noch im Lymphsystem, im Gehirn und in bestimmten Organen.

Bei allem Respekt vor der Arbeit des Amerikaners könne von „einem Hauptgewinn keine Rede sein“, erklärte denn auch Manfred Dietrich vom Hamburger Tropeninstitut. Der Restbestand des Virus reiche aus, um die Vermehrung voranzutreiben. „Der Therapieerfolg kann schnell dahin sein, wenn sich dann obendrein Resistenzen entwickeln“, gab Kongreßpräsident Dietrich zu bedenken.

Die erfolgreiche Entwicklung eines Impfstoffes ist bisher vor allem an der Wandlungsfähigkeit des HI-Erregers gescheitert. Eine Abwehrmöglichkeit, die sämtliche Virusvarianten berücksichtigt, ist bisher nicht in Sicht. Zudem können unerwünschte Langzeiteffekte wie Krebs oder andere Immunkrankheiten nicht ausgeschlossen werden. Der Pariser Entdecker des Aids-Erregers, Luc Montagnier, forderte daher in Hamburg, soviel Geld in die Forschung zu investieren wie in die Raumfahrt.

„In den nächsten Jahren wird sich die Wissenschaft mit der Optimierung der Kombinationstherapie befassen“, davon ist Tropenmediziner Dietrich überzeugt. Die Mixtur verschiedener Medikamente, mit denen auch HIV-Patienten in Hamburg seit rund anderthalb Jahren behandelt werden, sei der eigentliche Quantensprung in der Aids-Forschung gewesen. „Wir beobachten sogar eine Besserung bei Patienten, bei denen die Krankheit bereits voll ausgebrochen war. Das Gefühl, nicht mehr weiter zu können, verschwindet. Sie nehmen sogar wieder zu.“Gleichzeitig werde mit der Bestimmung der Virusmenge im Blut ein objektiver Laborwert über den Stand der Erkrankung gemessen.

Insgesamt leben in der Hansestadt derzeit etwa 7.000 Menschen mit dem Virus, über 500 von ihnen sind an Aids erkrankt. Bisher starben rund 1.000 an der Krankheit. Der Anteil der Frauen unter den Patienten hat sich auf ein Fünftel erhöht.

Vier- bis fünf Mal pro Tag müssen Aids-Patienten einen Pillencocktail von insgesamt bis zu 30 Tabletten schlucken. Viele schaffen es nur mit äußerster Willensanstrengung, den regiden Zeitplan einzuhalten. Der niederländische Immunologe Sven Danner arbeitet daher an einem Therapiekonzept, dessen Wirkstoffe sich länger als bisher im Körper halten, um den Pillenstreß verringern zu können.