Die Welt in sechs Minuten

■ Die Daily Soap ist wieder an ihren Ursprungsort zurückgekehrt: "Schräges Leben - Schönes Lieben", tagtäglich auf WDR Radio 5

Im unterirdischen Hörfunklabyrinth des Westdeutschen Runfunks flimmert Neon auf Marmor (echt?) und Schreie gellen, irgendwo wird ein Baby ermordet oder zur Welt gebracht, vom Band natürlich, keine Angst. Eine Gruppe von Menschen sitzt herum, die aussehen wie eine Bürgerinitiative. Offenbar warten sie darauf, von der Polizei weggepustet zu werden wegen irgendeines Parkplatz-Interessenkonflikts. Aber es sind nur die Sprecher der neuen WDR-Radio-Soap „Schräges Leben – Schönes Lieben“. So also kommt die Soap zu sich selbst, schließlich kommt sie vom Radio, alles andere ist fernsehkategorische Geschichtsfälschung.

Bereits 1949 beschrieb Charlotte Kaminsky, damalige Sendeleiterin des Hessischen Rundfunks, dem Intendanten in ihren Anmerkungen zum amerikanischen Radioprogramm das in Amerika just aufblühende Genre Seifenoper als geeignetes Format für Hausfrauen. „Die Probleme des täglichen Lebens“ würden „auf sentimentale Weise behandelt“. Umgehend wurde daraufhin mit der „Familie Hesselbach“ die hessische Version aufs Radiogleis gesetzt, als Fortsetzung des Familiengemäldes und bürgerlichen Rührstücks gewissermaßen. Bis 1956 durfte sich die Sippe streiten, vertragen und fortpflanzen. Dann griff das Fernsehen zu, und fortan ging es auf dem Bildschirm weiter. Die Seife war ins andere Medium geflutscht, dort gab es mehr Möglichkeiten und mehr Geld.

Nun ist die Soap zurück ins Radio gekommen. Das geht schon ein bißchen länger so: Formatradios entdeckten in den Achtzigern die Radiocomedy für Deutschland, bald wurden Miniserien draus. Die WDR-Soap unterscheidet sich von diesen Produkten vom „Frauenarzt von Bischofsbrück“ bis zu „Frieda und Anneliese“ darin, daß sie mit sechseinhalb Minuten länger ist und wesentlich aufwendiger produziert wird. Mit Drehbuch und so.

Gut sieht sie aus, die Soap, hat sich kaum verändert! Das Radio schon. Früher empfing das Volk, heute fängt man das Volk, wie, ist egal. Entweder mit Hundertmarkscheinen in Fußgängerzonen, mit gruseligen „Party-Patrol“-Kommandos oder mit den angeblich größten „Hits der 70er, 80er, 90er“. Die Hörer hören das nebenbei, und was liegt da näher als eine Radio-Soap? Jetzt läuft sie – auf WDR 5. Und weil man die Pastellpappe nun mal nicht sehen kann, muß man sie eben um so deutlicher hören: Die Charaktere knistern wie Anziehpuppen zum Ausschneiden, und sie turnen durch Beziehungen, Werbeagentur und Modelcasting.

Der Tontechniker fragt: „Was heißt umtriebig, viel Betrieb?“, und reibt einen Apfel am Pullover ab. Sauber, weiter, umtriebig. Drinnen krakeelt Lisa munter weiter „Herbert, Herbert ist kein schöner Name!“. „Danke“, sagt der Toningenieur, heißt wohl Herbert, und jetzt aber den Apfel. Mit der da drin habe er sowieso Probleme, die spräche ja immer immer am Mikro vorbei. Das ist auch nicht schön.

Weiter geht es in Tierheim, Agentur und Redaktion, und die Charaktere scheinen jetzt von Ernst Barlach geschnitzt, dazu noch Anweisungen, die dem Trivialen eindeutigst den Weg weisen: „langsam sauer“ oder „total durchgeknallt“. Aber wieder nur in Klammern, im Off. So muß es, und so soll es denn sein.

Herbert mobbt leutselig irgendeinen technischen Spezialtrick durch die Beamtenseuche: „Für die Jungs von der Spätschicht besser die 3/4 auf der 15, sonst müssen die nachdenken.“ Lachen, Szenenwechsel, Kaffee, ein mittelböser Blick für Lisa. Die lacht.

Im Vorraum des Studios wartet die Sprecherkolonne auf ihr Rotlicht. Sie erzählen sich Witze, die sie schon kennen, und blättern im Stundenplan. Heute ist Nachtschicht, und drinnen ruft die Regisseurin: „Keine bedeutungsschwangeren Pausen!“ Und bitte, weiter im Text. Blablaballaballa. Es geht um Unterhosen und Männerpos (ja doch!) „Noch ein bißchen netter, das mit dem Po, Lisa. So: ,Den kauf' ich mir‘, als hättest du ein saftiges Steak da liegen.“

Hier muß alles verbal materialisiert werden. Ist ja Radio. Sei „sogar witziger als gedacht“, sagt Lisa Adler, die im schrägen Leben Vicky Hummel heißt, selbige natürlich laut Kurzbeschreibung, hoho, „im Hintern“ hat und außerdem Torschlußpanik, auch irgendwo da unten.

Konkrete Reaktionen habe sie bisher noch keine bekommen, aber das sei ein gutes Stichwort, das wollte sie sowieso mal wissen, da wird sie sich später mal erkundigen .Und dann geht es weiter. Mala Pop und Henry Grun, auch Guido Wunder hangeln sich durch Petitessen vom Blatt. Und dann gibt es wieder Kaffee, und dann geht es wieder weiter, hat ja gar nicht aufgehört, knallhart, „Knochenarbeit“, logo. Die Jungs von der Spätschicht haben nichts zu lachen. Aber die 3/4 auf der 15 wenigstens das. Jeden Tag um 11.40: die Welt in 6 Minuten. Der Rest steht dann im Internet. Benjamin v. Stuckrad-Barre

„Schräges Leben – Schönes Lieben“ läuft Montag bis Freitag um 11.40 Uhr, eine Wiederholung um 17.50 Uhr. Samstags gibt es zwischen 14.30 und 15 Uhr eine Wochenzusammenfassung, alles auf WDR Radio 5