Ylang-Ylang-Blüten und verbrannte Erde

Wonach riecht afrikanische Literatur? Neue Romane aus Kenia, La Réunion, Tansania und Simbabwe  ■ Von Manfred Loimeier

Literatur aus Afrika, wie sie in diesem Herbst zu entdecken ist, ist so vielfältig wie selten zuvor – thematisch und stilistisch. Das traditionelle, auktoriale Erzählen ist mittlerweile eher den älteren Schriftstellern wie dem tansanischen Autor Shafi Adam Shafi vorbehalten. Bei jüngeren Autoren, vor allem aus dem südlichen Afrika, dominiert das Experimentieren mit Sprache und Form. Die junge, 1964 geborene Yvonne Vera aus Simbabwe ist dafür ein Beispiel, und die Bücher des 53jährigen Axel Gauvin aus dem französischen Übersee-Departement La Réunion zeigen, daß sich experimentelles Schreiben nicht nur auf den anglophonen Sprachraum beschränkt. Die Romane von Axel Gauvin und Shafi Adam Shafi unterstreichen überdies, daß Autoren aus Afrika zunehmend in afrikanischen Sprachen schreiben – Shafi Adam Shafi in Kisuaheli und Axel Gauvin in kreolischem Französisch – und damit auch die europäischen Sprachen bereichern.

Im Nachwort zu Axel Gauvins Roman „Wenn du aufwachst, bin ich da“ schreibt die Lektorin und Übersetzerin Gudrun Honke vom Duft von Bananen, Mangos, Orchideen und Pflaumen, der sich durch das Buch ziehe, und appelliert damit an Exotismus-Phantasien der Leser. Doch wenn das Buch überhaupt nach etwas außer frischem Papier riecht, dann eher nach Medikamenten. Schließlich rettet eine angejahrte Frau einen Jungen vor dem sicheren Tod, indem sie ihn samt ihrem zweiten Gatten aufpäppelt. Der ist ein liebenswert mürrischer eingebildeter Kranker, der in medizinischer Terminologie bis zur Unverständlichkeit gut bewandert ist. Der Reiz dieses Buches, das im Präsens geschrieben ist und sich wie ein Gespräch des Erzählers mit der weiblichen Hauptfigur liest, liegt in einer gegenläufigen Entwicklung: Je länger die alte Frau den Jungen pflegt und damit seit langem wieder einen greifbaren Lebenssinn erfährt, desto klarer wird ihr, daß ihr eigenes Leben zu Ende geht. Der Junge dagegen begreift angesichts des unausweichlichen Todes der alten Frau, daß ihre Kraft in seiner Genesung fortdauert.

An das Tabu des Todes und des Sterbens rührt auch der kenianische Autor Meja Mwangi mit seinem Roman „Die achte Plage“. Der Begriff „Aids“ fällt erst spät, und es geht weniger um Aufklärung über die Ursachen der Erkrankung, als um eine harsche Kritik an patriarchalen Verhaltensweisen und am Festhalten an funktionslos gewordenen Traditionen, die der Gegenwart in Afrikas Städten und Dörfern nicht mehr angemessen sind.

Trotz des ernsten Themas und der unablässigen Leichnamsprozessionen, die sich durch „Die achte Plage“ ziehen, ist Meja Mwangis Roman heiter und spannend und erzählt zugleich vorsichtig die Liebesgeschichte eines zwischen Annäherung und Distanz schwankenden Paares. Wie bei Axel Gauvin steht auch hier eine starke Frau im Mittelpunkt, die im Roman den Spitznamen „Kondomfrau“ trägt. Auch das kennzeichnet die jüngere Literatur Afrikas: das Infragestellen männlicher Verhaltensweisen und Autoritäten und die heroisierende Lobpreisung der Kraft alles Weiblichen.

In Yvonne Veras Roman „Eine Frau ohne Namen“ hat sich nahezu alles Übel ihrer Welt auf den Schultern der weiblichen Hauptfigur namens Mazvita versammelt. Mazvita wurde vergewaltigt, verließ ihr Dorf, konnte die Nähe zu einem von ihr geliebten Landarbeiter nicht ertragen und flieht mit ihrem ungewollten Baby in die Großstadt Harare, in der sie zugrunde geht. Wenn eines der neueren Bücher aus Afrika „riecht“, dann ist es dieses: nach verbrannter Erde und nach Leichengestank. Yvonne Veras Maniriertheit, ihre Vorliebe für eine expressive Düsternis, läßt jedoch keinen Schrecken entstehen, sondern führt bloß zu bisweilen hohl schepperndem Wortgeklingel.

Riechen soll nach dem Willen des Nachwortverfassers Jean- Pierre Richard auch Shafi Adam Shafis Buch „Die Sklaverei der Gewürze“ – und zwar nach Jasmin- und Ylang-Ylang-Blüten. Aber wiederum dringt kein Duft aus Shafi Adam Shafis Zeilen, sondern die unverkennbare Absicht des Autors, eines Journalisten, dem Aufstand der Landarbeiter auf Sansibar vom 12. Januar 1964 ein Denkmal zu setzen.

Für „Die Sklaverei der Gewürze“ entwarf Shafi Adam Shafi ein plakatives Gegensatzpaar: Einem Plantagenbesitzer stellt er einen agitierenden Arbeiter gegenüber. Neben dieser zentralen Auseinandersetzung erzählt er die Geschichte einer alternden Sklavin und ihrer schwindenden Fürsorge. Einst, als der Großgrundbesitzer noch ein Kind war, pflegte und hegte sie ihn liebevoll, doch im Lauf der Zeit wird sie von seinem harten, mitleidlosen Verhalten immer mehr abgestoßen. Allerdings gelingt es Shafi Adam Shafi nicht, dieses Handlungsgerüst anschaulich mit glaubwürdigen Figuren zu bevölkern; er reiht die Etappen der Geschichte bloß aneinander, anstatt sie auseinander entstehen zu lassen. Indes gilt „Die Skaverei der Gewürze“ als meistgelesener Roman in Kisuaheli, so daß er wie kaum ein anderer vor Augen führt, was viele Afrikaner derzeit beschäftigt.

Axel Gauvin: „Wenn du aufwachst, bin ich da“. Roman. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1997, 256 Seiten, 36 DM

Meja Mwangi: „Die achte Plage“. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1997, 448 Seiten, 36 DM

Shafi Adam Shafi: „Die Sklaverei der Gewürze“. Roman. Marino Verlag, München 1997, 178 Seiten, 29,80 DM

Yvonne Vera: „Eine Frau ohne Namen“. Marino Verlag, München 1997, 112 Seiten, 29,80 DM