Ein Schlag in die Fresse

■ Sextouristen können aufatmen: Ludwig Fels' Philippinenreisender ist viel fieser als sie alle

Kerr, Arzt und Vater einer Teenage-Tochter, kann sich auf Reisen am besten von seinem anstrengenden Berufs- und Familienleben erholen. Bevorzugtes Ziel seiner Entspannungsübungen: die Philippinen, das „dreckigste Paradies auf Erden“. Zum Schleuderpreis gibt es an jeder Ecke „Gerippchen auf knochigen Beinen“. Kerr greift und schlägt zu, nach Lust und Laune. Als er bei einem seiner perversen Doktorspiele ein Mädchen lebensgefährlich verletzt, haut er ab, ohne Hilfe zu leisten. Das Kind krepiert tagelang. Kein Fall für die Polizei – Pech gehabt, die kleine Nutte. Doch Yud Pullen, eine Art Straßenkindergärtner, der ein Sohn von Bud Spencer und Mutter Teresa sein könnte, vollbringt ein Wunder; Kerr landet auf der Anklagebank. Vergeblich: Der Mörder wird freigesprochen und fliegt zurück in die westliche Welt.

Ludwig Fels, der Erzähler wahrer, brutal-zärtlicher Betonmärchen, hat oft Außenseiter, Getretene zu Hauptpersonen seiner Bücher gemacht, unverwechselbar und unüberhörbar nach Liebe geschrien, gebrüllt vor Schmerz, Haß und Trauer. So zunächst auch hier: Fels' Darstellung von dumpfer Geilheit, Menschenverachtung und Gewalt ist wie ein Schlag in die Fresse, den man nie vergißt.

Leider hat Ludwig Fels es nicht bei einer Erzählung belassen. Er wollte einen „großen“ Roman schreiben. Bild- und Tonstörung, nachdem die behoben ist, sitzen wir in einem anderen Film. Eine Gemeinschaftsproduktion aus den Häusern RTL und Sat.1. Die hat alles, was die Einschaltquote hochtreibt: Zwei Sittenpolizisten, die Kerr auf der Spur sind; Draufgänger, Randalierer und von Frau und Kind zugunsten eines hergelaufenen Künstlertypen verlassener Säufer der eine, Petruzalek heißt er; grundanständig, häuslich, treu der andere, er hört auf den Namen Holzwange. Tach Schimanski, hallo Thanner! Der Polizeichef ist natürlich ein begnadeter Volltrottel und alkoholabhängig. Sein Hobby: Petruzalek mit Disziplinarmaßnahmen zu schikanieren. Nicht so schlimm. Kommt der Abgemahnte nämlich aus dem Chefzimmer, erwartet ihn eine Vorzimmerdame, die das Herz auf dem rechten Fleck hat und erregte Brustwarzen. Kennt man, wenn auch weniger sexy, von James Bond.

Und was gibt's Neues von Kerr? Der verstümmelt eine Prostituierte, mißbraucht eine Krankenschwester, ist manchmal gar nicht nett zu seiner alten Mami, die ihren guten Jungen doch so schrecklich liebt. Wie im naturalistischen Drama ist er mit einem schweren Erbschaden behaftet: Schon sein Vater pflegte die ehelichen Pflichten mit der Flinte in der Hand zu erledigen. Indem der Autor Kerr als blutrünstiges, irres Muttersöhnchen-Monster beschreibt, als durchgeknallten Ersatz-Norman- Bates, macht er ihn zur Ausnahmefigur – Millionen hochanständiger Sextouristen dürfen aufatmen. Das bißchen Rumfummeln und Abspritzen, was ist schon dabei, solange man Mensch bleibt. Mit diesem Kerr will kein Normalo-Kinderficker Bruderschaft saufen. Aufhängen sollte man das Vieh, aber ehrlich.

Nicht beteiligt ist Kerr allerdings an der Vergewaltigung und Hinrichtung einer Schwangeren. Das geht aufs Konto einer Filipino- Gang. Drogen und Tierquälerei sind auch im Spiel und unglaubliche Zufälle. Kerrs und Petruzaleks Töchter werden dicke Freundinnen! Bevor es zum großen Showdown mit viel Feuer und Bumbum kommt, fällt Petruzalek, der bislang ständig seiner Ex hinterhergeheult hat, Knall auf Fall in Liebe mit der (siehe oben) mißbrauchten Krankenschwester. Und die Frau von Holzwange hat zwar Krebs, kommt aber durch. Das Ende: Nach der gerechten Strafe für Kerr umarmt Petruzalek Tochter und Zukünftige, die sich übrigens sehr mögen. Und jetzt wieder Werbung. Dietmar Sous

Ludwig Fels: „Mister Joe“. Luchterhand Literaturverlag, München 1997, 336 Seiten, 42 DM