Analyse
: Gesucht: Ein Killer

■ Frankreichs Arbeitgeberpräsident zu soft für den Klassenkampf von oben

Daß der Chef des größten Arbeitgeberverbandes eines Landes zurücktritt, wenn gegen den Willen seiner Organisation die 35-Stunden-Woche eingeführt werden soll, überrascht wenig: Niederlagen haben ihren Preis. Daß CNPF- Chef Jean Gandois jedoch von „Krieg“ statt von „Politik“ spricht und daß er seine persönliche Untauglichkeit für die kommenden Auseinandersetzungen mit den Worten „Ich bin mehr Unterhändler als Killer“ beschreibt, weist auf eine gewollte Zuspitzung der französischen Beschäftigungsdebatte hin: Die Patrons haben dem Rest der Gesellschaft den Klassenkampf erklärt.

Frankreich steht damit wieder vor dem bekannten Szenario aus dem Winter 1995 – die soziale Blockade. Damals hatte ein Teil der Gewerkschaften ihre Anhänger im öffentlichen Dienst zum Streik gegen eine Reform der Sozialversicherung aufgerufen, die den vorausgegangenen Wahlversprechen widersprach. Wochenlang stand das Land still, und weder Regierung noch Arbeitgeber rührten einen Finger. Erst nachdem mehrere Millionen Menschen auf der Straße seinen Rücktritt und Verhandlungen verlangt hatten, bequemte sich Premierminister Alain Juppé schließlich zu einem „Sozialgipfel“, bei dem erstmals am runden Tisch über die geplante Reform geredet wurde.

Dieses Mal sind die Vorzeichen umgekehrt. Die Akteure sind eine rot-rosa-grüne Regierung, Gewerkschaften mit direkten Ansprechpartnern in den Ministerien, und Arbeitgeber in der unbequemen Rolle einer Opposition, der angesichts der chaotischen Lage in den konservativen Parteien die parlamentarischen Ansprechpartner fehlen. Spielregel ist die Zusammenarbeit aller Seiten. Premierminister Lionel Jospin hat seine bereits im Wahlkampf angekündigte – und vom Souverän an der Urne akzeptierte – Arbeitszeitverkürzung monatelang in bilateralen und zuletzt beim nationalen Beschäftigungsgipfel am vergangenen Freitag mit multilateralen Gesprächen vorbereitet und zusätzlich allen Sozialpartnern über ein Jahr Zeit gelassen, um die Einzelheiten für die 35-Stunden-Woche auszuhandeln.

Sämtliche Gewerkschaften – jene, die im Winter 1995 gestreikt haben, und jene, die damals auf der anderen Seite standen – wollen heute gemeinsam mit Arbeitgebern und Regierung nach Auswegen aus der Massenarbeitslosigkeit suchen. Aber die Mehrheit der 1,5 Millionen im CNPF zusammengeschlossenen Arbeitgeber will überhaupt nicht verhandeln — schon gar nicht über eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung. Sie will schlicht freie Hand für freie Unternehmerentscheidungen bekommen, in die sich weder Regierung noch Gewerkschaften einmischen. Deswegen und weil er gesellschaftlich gegenwärtig in der schwächeren Position ist, droht der CNPF mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und mit einer Politik des leeren Stuhls. Und deswegen wählt er im Dezember einen neuen Chef. Dessen Profil steht bereits fest. Er soll ultraliberal, antisozialpartnerschaftlich und dialogfeindlich sein. Kurz: ein Killer. Dorothea Hahn, Paris