Der weite Bauch der Flaschen: Auf den Spuren Fernando Pessoas durch Lissabon

Die Zeit ist stehengeblieben in Lissabon. Noch immer sitzt Fernando Pessoa vor seinem Stammcafé, trinkt Absinth und starrt zum Wasser hinunter. Sein melancholischer Blick ist allerdings aus Bronze: Ende der achtziger Jahre wurde dem portugiesischen Dichter eine Skulptur vor dem Café „A Brasileira“ gewidmet, mit der sich Lissabon- Reisende seither gerne fotografieren lassen.

Mit Pessoas Texten läßt sich die Stadt entdecken („Mein Lissabon“, Ammann Verlag, 194 Seiten, 29,80 DM). Seine Spuren aber, die Tina Deininger und Gerhard Jaugstetter mit ihren schwarzweißen Fotos dokumentieren, sind im Stadtbild nicht so leicht zu finden. Pessoas Biographie führte die beiden Fotografen durch entlegene Hinterhöfe, zum Fischmarkt und immer wieder in Kneipen, von denen er im „Faust“-Fragment schrieb: „Ich feire Feste und dem Nachtgesindel gehör' ich an, und ich zerteile mich in jeden trunknen Schrei, in jeden Schimmer, der auf dem weiten Bauch der Flaschen aufscheint.“

Obwohl der Text sich zum Klagelied über Portugals verlorenen Glanz ausweitet, sind die Fotografien mehr am Alltag orientiert, der in Lissabon mit dem Gemüsehandel auf allen Gassen und den Straßenbahnen aus Holz ohnehin fest an die Vergangenheit geklammert bleibt. Von der Moderne, wie sie sich etwa in der Museumsarchitektur des Belém-Palastes oder den Neubauten nach der Nelkenrevolution von 1974 spiegelt, ist bei Deininger und Jaugstetter in dem Fotoband „Pessoas Lissabon“ (ars vivendi, 128 Seiten, 98 DM) nicht viel zu spüren. Statt dessen trägt die Stadt ein schwarzes Trauerkleid, und es steht ihr gut. Harald Fricke