Mit Derrick durch das Sozialisationstrauma

■ Die Therapeuten von „Re-Products“zeigen „XYZ“und die „Homo-Polizei“

Es gab mal eine Zeit, da hat die Frage „Hast du gestern...gesehen?“(bitte beliebige Krimiserie einsetzen) auf dem Schulhof noch Gesprächsstoff für die ganze Pause gegeben. Seitdem aber die Privatsender das Programm mit diversen neuen, profillosen Serien überschwemmt haben, will das gemeinsame Erlebnis des Derrick-Schauens nicht mehr so recht funktionieren, da jede und jeder etwas anderes schaut. Der heutigen Jugend geht somit etwas verloren, das bis in die Achtziger noch Bestandteil jeder einzelnen Fernsehsozialisation war.

So jedenfalls will es der Mythos, den „Re-Products“heraufbeschwören. 1988 gründete sich die Hamburger Gruppe nach eigener Aussage zum „Zweck der Wiederverwertung und Aufarbeitung von massenmedialem Material“. Die Arbeitsweise der 4 Mitglieder, die bewußt die Anonymität durch einen Gruppennamen gesucht haben, läßt sich eher mit der eines Psychologen als der eines Künstlers vergleichen. Hinter den von ihnen gesammelten Fernsehserien der 70er Jahre vermuten sie kollektive Traumata und verschüttete Erinnerungen, die sie in ihren Filmcollagen aufzudecken versuchen.Ihre Collage Todesboten von 1994, die vielen seit dem Hamburger Kurzfilmfest noch in bester Erinnerung sein dürfte, beweist, welch therapeutischen Wert das Überbringen von Todesnachrichten durch den Kommissar haben kann.

Beispielhaft für die zu Ende gehende Fernseh-Ära, die natürlich ihre ganz eigene Ästhetik besitzt, ist vor allem der fast ikonenhafte, superkorrekte Eduard Zimmermann. Letzterer steht für eine dreißigjährige Kontinuität in Sachen medialer Verbrecherjagd. Wenn Re-Products ihm anläßlich seiner dreihundertsten und zugleich letzten Folge von XY ungelöst mit ihrer Collage XYZ Tribut zollen, so soll dies keineswegs geschehen, um sich über ihn lustig zu machen. Obwohl es zugegebenermaßen auch nicht ganz unkomisch ist, wie es in seiner Sendung zugeht und die LaiendarstellerInnen des XY ungelöst- Teams Verbrechen und teilweise brutalste Gewalt dilettantisch nachspielen.

Um die mediale Vermittlung von Gewalt und Verbrechen geht es auch in Die Homo-Polizei, ein rund fünfstündiges Programm, das „Re-Products“in ihrem Archiv-Universum für die diesjährigen Lesbisch-Schwulen Filmtage zusammengestellt haben. Für dieses Programm, zu dem es auch einen Vortrag über die Krimiserien der 70er Jahre geben wird, haben „Re-Products“Serienfolgen, unter anderem von Cagney & Lacey, ausgewählt, deren ProtagonistInnen sich als Projektionsflächen für homosexuelle Begierde eignen. Heimlicher Höhepunkt des Abends scheint „Und niemand hat es gewußt“, eine Folge von Starsky & Hutch, zu werden, in der das Detektivpärchen sich, um den Mord an einem Homosexuellen aufzuklären, in diversen Schwulenbars rumtummelt.

So sehr „Re-Products“auch versuchen, in ihrer Arbeit nichts über ihre eigenen Identitäten zu verraten, um ambivalente Gefühle ohne die Idee von Selbstverwirklichung durch Kunst zu vermitteln, gelingt es ihnen dennoch nicht, als Personen vollkommen zu verschwinden. Viel zu deutlich sprechen ihre Collagen von der Melancholie ihrer Erschaffer und von dem Versuch, ihre eigene Kindheit wieder einzufangen. Jens Kiefer

Die Homo-Polizei läuft im Rahmen der Lesbisch-Schwulen Filmtage morgen, 17. Oktober, um 0 Uhr.

„XYZ“am 24. Oktober, 20 Uhr, beide im Metropolis