Sein eigenes Grab schaufeln

Seit einem Jahr bietet die Verwaltung des Schöneberger St.-Matthäus-Kirchhofs Patenschaften für historische Gräber an. Doch bisher ist das Interesse eher gering  ■ Von Matthias Stausberg

„Eine Hand voll Erde und ein wenig Moos, ist einst, wenn ich sterbe, mein bescheiden Trost.“

Ein wenig mehr als nur Erde und Moos war es schon, was der Geheime Regierungs- und Baurat Hermann Grapow vor knapp 110 Jahren auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg aufbauen ließ, um sich auch im Tode ein Denkmal zu setzen. Aus viel schwedischem Granit entstand zwischen Linden und Kastanien ein edles „Erbbegräbnis“, ein repräsentatives Grabmonument. Langfristig wurde damals geplant, und die Mitglieder der einst so wohlhabenden evangelischen Gemeinde hofften, daß die eigenen Nachkommen auf Generationen hinaus das Grabmal pflegen und nutzen würden.

Aber nach zwei Weltkriegen und vier Generationen ist vom Traum von der Ewigkeit nichts mehr übriggeblieben. Anstelle von Grapows Erben hat sich ein anderer des Grabes bemächtigt, um es vor dem Verfall zu retten und sich selbst ein Plätzchen für die Ewigkeit zu sichern.

An Wochenenden, nach Feierabend, immer wenn er Lust dazu hat, werkelt Wolfgang Gärtner an der Grabstätte, setzt den kunstvollen schmiedeeisernen Zaun instand oder stutzt den wuchernden Rhododendron. Der 54jährige Restaurator hat eine Grabpatenschaft auf dem historischen Kirchhof übernommen und plant, in „seinem“ Grab auch selbst einmal zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Im Vergleich zu den Pachtkosten einer normalen Grabstätte muß Gärtner nur für die Materialkosten aufkommen.

Seit Oktober letzten Jahres bietet die Verwaltung des 1856 angelegten Kirchhofes Patenschaften an. Eine Idee, die aus der finanziellen Not geboren wurde. Die meisten Grabmale sind wegen nicht auffindbarer Erben oder mangelnden Interesses verwaist. Fast dreihundert Erbbegräbnisse auf dem komplett denkmalgeschützten Kirchhof stehen ohne finanzielle Unterstützung vor dem Verfall. Denn anders als die 73 städtischen Friedhöfe in Berlin erhalten die Kirchhöfe keine Mittel aus öffentlichen Töpfen. „Das ging so lange gut, solange Sterberate und Bestattungskosten zusammengingen“, erklärt Kirchhofsverwalter Richard Mitschke.

Mittlerweile jedoch hat die Gemeinde nur noch etwa sechshundert „Seelen“, und bei einer Sterberate von einem Prozent sind sechs Begräbnisse im Jahr zum Überleben des fünf Hektar großen Kirchhofs zu wenig. Auch die Kassen der Denkmalpflege sind leer, und so folgte die Friedhofsverwaltung dem Beispiel anderer historischer Friedhöfe in Deutschland und begann, unter dem Motto „Ein Denkmal für Sie“ um Paten zu werben.

Drei verschiedene Patenschaftsmodelle bietet die Verwaltung an: eine steuerlich absetzbare Spende im größeren Rahmen; eine Initiativpatenschaft wie die von Wolfgang Gärtner, die den Paten verpflichtet, sich selbst um den Erhalt des Grabes zu kümmern. Eine dritte Möglichkeit ist, durch kontinuierliche kleinere Spenden die Instandhaltung des Grabes dauerhaft zu finanzieren. Alle Varianten beinhalten das Angebot an die Paten, sich selbst in der Grabstätte beisetzen zu lassen.

Doch was in Köln und Hamburg erfolgreich ist, läuft in Berlin nur schleppend an. Bei etwa sechzig Anfragen konnten bisher erst drei Patenschaften abgeschlossen werden. Eine vierte steht kurz vor dem Abschluß. Glaubt man Richard Mitschke, so fehlen dem Projekt „Zugpferde“, die, so wie Heidi Kabel in Hamburg, eine „entsprechende Klientel“ um sich haben und auch Vorbildfunktion besitzen. „Es gibt in Berlin keinen Prominenten, der sich der Sache annimmt und sie in die Öffentlichkeit bringt“, bedauert er. „Wenn es uns gelingt, jemand Prominentes vor den Karren zu spannen, sag' ich mal, dann läuft das Ding problemlos.“

Auch auf Impulse aus der „Kunst- und Senatsszene“ hofft Mitschke, um dem Kirchhof aus dem „Tal der Tränen“ herauszuhelfen. Wenn das öffentliche Interesse jedoch weiter ausbleibt, dann sieht der Verwalter die Zukunft des historischen Kirchhofs in grauen Tönen. Letztlich mag es aber auch schlicht die Angst sein, sich mit dem eigenen Ableben zu beschäftigen, die potentielle Paten abschreckt. „Der Tod wird halt immer noch verdrängt“, sagt Mitschke.

Für den Paten Wolfgang Gärtner ist das kein Problem. Er weiß, daß er sich, strenggenommen, sein eigenes Grab schaufelt: „Das kommt auf einen zu.“