Drei Tage Einigkeit

CDU-Parteitag: Leitanträge zu Arbeit, Bildung und Europa ohne Debatte verabschiedet. Waigel hält Wahlkampfrede  ■ Aus Leipzig Dieter Rulff

Nachdem Helmut Kohl am Montag den CDU-Bundesparteitag mit eher matten staatsmännischen Ausführungen eröffnet hat, Wolfgang Schäuble am Dienstag die Delegierten mit einer programmatischen Rede begeisterte, rundete Theo Waigel gestern die Beratungen mit einer Wahlkampfrede ab. Dabei ließ der CSU-Vorsitzende auch Differenzen zu seinen Vorrednern anklingen. So erteilte er in seiner traditionellen Grußbotschaft einer Großen Koalition eine klare Absage. Sein Bedarf an Großen Koalitionen sei „für dieses und für das nächste Jahrhundert gedeckt“.

Noch kurz vor dem Bundesparteitag hatte Schäuble ein Regierungsbündnis mit der SPD nicht ausschließen wollen, wohingegen sich Kohl in seiner Parteitagsrede klar für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der FDP aussprach.

Trotz allen parteiinternen Drängens, vor allem der ostdeutschen Landesverbände, im Wahlkampf auf eine Neuauflage der Roten-Socken-Kampagne zu verzichten und die PDS differenzierter zu betrachten, warnte Waigel vor einer „Volksfront von roten Sozialisten, Ökosozialisten und roten Kommunisten“. Von den Stimmen der PDS dürfe kein deutscher Bundeskanzler abhängen. Der CSU-Vorsitzende, dessen Ansehen gelitten hat, seit er im Sommer öffentlich über ein Ende seiner Amtszeit als Finanzminister spekuliert hatte, verwies auf das Gewicht der CSU in der Union. Wenn diese nicht bei den letzten Wahlen 51 Prozent Wählerstimmen erbracht hätte, wäre Kohl nicht Kanzler geworden. Auch bei der kommenden Wahl wolle die CSU einen überproportionalen Beitrag leisten.

So eindeutig wie zuvor Kohl und Schäuble sprach sich auch Waigel für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion aus. Er setzte sich damit gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ab, der noch zu Beginn der Woche betont hatte, die Entscheidung über den Euro sei offen. „Wir sind noch nicht am Ziel“, hatte Stoiber gesagt. Waigel war sich gestern sicher, „die Währungsunion wird kommen“. Auch der CDU-Parteitag hat in seinem Leitantrag seinen Willen bekundet, „daß die Europäische Währungsunion pünktlich am 1. Januar beginnt“.

Während des Parteitags in Leipzig war von Euroskepsis wenig zu hören. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der Stoibers Bedenken teilt, übte Zurückhaltung. Mit der Zustimmung zum europapolitischen Teil des Leitantrages ließen die Delegierten auch die letzte Möglichkeit einer kontroversen Debatte ungenutzt.

Bereits in der Diskussion um den Leitantrag hatten mehrere vermeintliche Opponenten Kohls, die sich Junge Wilde nennen, die Gelegenheit genutzt, dem Spitzenkandidaten ihre Ergebenheit zu bekunden. Angesichts der Bundestagswahl im nächsten Jahr konnte sogar der saarländische Landesvorsitzende Peter Müller dem von ihm und seinesgleichen oft geschmähten „Kanzlerwahlverein“ „etwas Gutes“ abgewinnen: Schließlich sorge dieser Wahlverein dafür, daß Kohl wieder Kanzler werden könne. Die von ihm initiierte Personaldebatte, so hatte bereits vorher der JU-Vorsitzende Escher versprochen, sei beendet.

Eine andere Debatte, die über das „Projekt Zukunftschancen“, wollte nicht so richtig in Gang kommen. Obgleich 400 Anträge vorlagen, um das Leitmotiv „Das 21. Jahrhundert menschlich gestalten“ auszufüllen, wurde die Vorlage des Bundesvorstandes zu den zentralen Bereichen Arbeit, Bildung, Europa kaum verändert. Dabei spiegelte die Vorlage durchaus die bisherigen programmatischen Defizite wider. Zwar hält die CDU weiterhin daran fest, „daß Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden“, doch wird die Festlegung auf eine Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahr 2000 vermieden. Auch weiterhin wird auf Deregulierung, Stärkung der Exportwirtschaft, Förderung der Umwelt-, Bio- und Gentechnologie, Verwirklichung der Steuerreform und Senkung der Staatsquote auf 45 Prozent gesetzt. Die Lohnnebenkosten sollen bis zum Jahr 2000 auf 40 Prozent der Bruttolöhne sinken, den Tarifpartnern wird eine moderate Lohnpolitik empfohlen, „die Arbeitnehmer sollen bereit sein, für gleichen Lohn mehr zu arbeiten“.

„Arbeit für alle“ nannte Schäuble als Ziel, gestand jedoch zugleich erstmals ein, daß „nicht mehr jeder einen traditionellen Vollarbeitsplatz bekommen“ wird. In der CDU wird über gemeinnützige Beschäftigungsverhältnisse nachgedacht, zugleich will man aber dem ersten Arbeitsmarkt keine Konkurrenz machen. Einem gleitenden Übergang von der Sozialhilfe in die Beschäftigung wird das Wort geredet, über eine Aufhebung der Versicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse nachgedacht. Das ist in der Partei noch streitig, erst recht mit FDP und CSU.

Die Globalisierung wird als Chance begriffen. Als einer der wenigen warnte Heiner Geißler davor, daß „die Erfordernisse der Integration nicht erkannt werden“. Der ehemalige Generalsekretär warnte vor einer Kultur des Shareholder-value. Solche Wirtschaftsförderung sei auf Dauer nicht konsensfähig, „und wir als CDU dürfen uns damit nicht identifizieren“. Er wies die Delegierten darauf hin, daß das „Armutsrisiko bis weit in die mittleren Einkommenslagen“ reiche. Mit seiner Intervention vermochte Geißler aber die gewohnten wirtschaftspolitischen Gedankengänge lediglich zu irritieren. Zu deren Änderung reichte es nicht.