ÖTV-Offensive: Teilzeitarbeit mit Lohnverzicht

■ ... für die oberen 36.000 Beschäftigten im Hamburger öffentlichen Dienst

Mit einem überraschenden Angebot hat die Hamburger Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) den obersten Dienstherren der knapp 100.000köpfigen Hamburger Verwaltung unter Zugzwang gesetzt: Sie bietet dem Senat Verhandlungen über eine Teilzeitoffensive im öffentlichen Dienst an. Der Clou: Die Besserverdienenden – ab Lohngruppe A 11 bzw. BAT IVa – reduzieren Lohn und Arbeit im gleichen Umfang; die eingesparten Gelder sollen zu mindestens 50 Prozent in neue Arbeitsplätze fließen. Erste Reaktion der zuständigen Innenbehörde: „Die Vorschläge fallen bei uns auf einen absolut fruchtbaren Boden.“

Grundsätzlich, so die ÖTV, soll allen StaatsdienerInnen ein „Recht auf die individuelle Reduzierung ihrer Arbeitszeit“ eingeräumt werden. Bisherige Beschränkungen sollen fallen. Gedacht ist an Arbeitszeitkonten, mit denen „Sabbatjahre“ angespart werden können, ebenso wie an Verringerung der Wochen- oder Tagesarbeitszeit. Hauptzielgruppe sind die 36.000 Beschäftigten des gehobenen und höheren Dienstes in Hamburg – darunter allein 16.700 LehrerInnen. Die eingesparten Gelder sollen bis zur Hälfte mit dem 200-Millionen-Mark-Programm des Senats zur Personalkostenabsenkung verrechnet, der Rest für neue Arbeitsplätze verwendet werden.

Zentrales Element des ÖTV-Konzepts ist die Mitbestimmung der Betroffenen, die bei Änderungen der Arbeitsorganisation Mitsprache und bei der Schaffung der zusätzlichen Stellen sogar ein Vetorecht gegen überzogene Arbeitsverdichtung erhalten sollen. Die Teilzeitoffensive könnte, so meint die ÖTV, auf diesem Weg auch Bestandteil der gerade anlaufenden Verwaltungsreform nach dem „Neuen Steuerungsmodell“ sein.

Hamburgs ÖTV-Chef Rolf Fritsch unterbreitete das Angebot jetzt in einem Schreiben an Innensenator Hartmuth Wrocklage – als Chef des Senatsamtes für den Verwaltungsdienst formal oberster Arbeitgeber der Stadtstaatsbediensteten. Fritsch gibt sich „davon überzeugt, daß es im hamburgischen öffentlichen Dienst ein großes Potential an Beschäftigten insbesondere im höheren Dienst gibt, die ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden und die aufgrund ihres Einkommensniveaus in der Lage sind, dies ohne Einkommensausgleich zu realisieren“. Fritsch sieht im ÖTV-Angebot drei große Chancen: „Zusätzliche Beschäftigung“, mehr individuelle „Zeitsouveränität“ und schließlich „das Aufbrechen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung“. Denn: „Teilzeitarbeit von Männern in höheren Einkommensgruppen kann traditionelle, auf Vollzeitarbeit fixierte Karrieremuster verändern helfen.“

Mit ihrem Vorstoß will sich die ÖTV aktiv in die aktuelle Senatsdiskussion über „Qualitätssteigerung und Senkung von Personalkosten“ einmischen. Während das Senatspapier Qualifizierungsmaßnahmen, die Beschleunigung des Personalabbaus (auch per EDV) und die Streichung von sozialen und finanziellen Extras anpeilt, sucht die ÖTV nach einem kreativeren Ausweg aus dem Teufelskreis von stadtstaatlichem Sparzwang, Massenarbeitslosigkeit und Qualitätsdefiziten im Öffentlichen Dienst.

Geboren wurde die Teilzeit-Idee denn auch in einem ÖTV-Arbeitskreis führender Verwaltungsangestellter. Der schließlich entwickelte Vorschlag springt über eine ganze Reihe bisheriger Gewerkschaftsschatten: Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, Zustimmung zu Einsparnotwendigkeiten, Teilzeitoffensive mit Anklängen an das entsprechende CDU-Programm.

Eine offizielle Reaktion hat Fritsch bisher nicht erhalten. Auf Anfrage der taz betonte Wrocklages Sprecher Peter Mihm aber, man stehe dem ÖTV-Ansatz „absolut positiv“ gegenüber: „Leider haben sich bisher eher andere Gruppem als die der Führungskräfte für Teilzeit erwärmen können.“ Dabei sei dies gerade dort so wichtig, um „Chancengleichheit von Frauen“ voranzubringen. Mihm: „Wir werden das Gespräch mit der Gewerkschaft suchen.“ Florian Marten