Die richtige Explosion

■ Düster, archaisch, großartig: Die britische Truppe ThéÛtre de Complicité gastiert mit „The Three Lives of Lucie Cabrol“ im Schauspielhaus

The Three Lives of Lucie Cabrol erzählt (basierend auf einer Novelle von John Berger) die Geschichte einer Bäuerin aus Savoyen, die, obwohl sie verachtet wird, beharrlich versucht, Liebe und Reichtum zu erlangen. Renate Klett, die das TéÛtre de Complicité für Deutschland entdeckte, beschreibt die Faszination dieser Gruppe.

taz: Renate Klett, Sie haben 1993 das TéÛtre de Complicité zum Theater der Welt nach München eingeladen. Wie sind Sie auf die Gruppe gestoßen?

Renate Klett: Ich habe sie immer wieder gesehen, wenn ich in London war. Die richtige Explosion kam dann mit Street Of Crocodiles, das ich eingeladen habe. Da die Gruppe nach der sogenannten Premiere immer noch an dem Stück weiterarbeitet, war ich selbst überrascht, was aus der Aufführung geworden ist. Und auch, wie die Gruppe dann ankam, war nicht vorherzusehen, es war tatsächlich eine Sensation.

Zwischen „Street Of Crocodiles“ und dem neuen Stück „The Three Lives of Lucie Cabrol“ sind schwer Gemeinsamkeiten zu finden. Ersteres ist schnell, opulent, „The Three Lives“ dagegen eher düster, langsam, archaisch.

Es wäre ja sehr einfach gewesen, nach dem Welterfolg von Street of Crocodiles etwas in derselben Art zu machen. Lucie Cabrol ist in vielen Belangen genau das Gegenteil. Aber es hat dieselbe Intensität und Spielfreude, dieselbe Kraft.

Gibt es wiederkehrende Prinzipien in der Arbeit der Gruppe?

Im allgemeinen gehen sie so vor, daß sie einen Stoff nehmen und ihn sich anverwandeln, was ausschließlich über Improvisation läuft. Da viele von ihnen relativ kontinuierlich seit 12 Jahren dabei sind, haben sie gemeinsam eine Improvisationsmethode entwickelt, die so umfassende Gefühle ausdrücken kann, wie ich es von keiner anderen Gruppe kenne. Sie haben eine unglaubliche Fähigkeit, sich blitzschnell aufeinander zu beziehen, aber immer wieder offen für neue Ideen zu bleiben. So entsteht dieses besondere Klima.

Wenn man „Street of Crocodiles“ gesehen hat, das nun wirklich voller sogenannter Regieeinfälle steckt, ist man ziemlich erstaunt, daß dies alles nur das Resultat von Improvisation sein soll.

Natürlich ist der Regisseur Simon McBurney ganz entscheidend. Er ist derjenige, der das Material ordnet und die Anregungen gibt.

Wie sehen die Proben aus?

Von den acht Wochen Proben sind sechs Improvisationen über Gefühle, Personen, Gegenstände. In diesem Fall haben sie etwa mehrere Tage eine Improvisation über Milch gemacht. Es gibt zwar im Stück keine Szene, in der Milch vorkommt, aber den Geruch davon merkt man. Oder sie spielen Kühe im Kuhstall oder einen Strauch mit Beeren. Und das improvisieren sie eben sehr lange.

Liegt das Hauptgewicht der Inszenierung auf der Erzählung von John Bergers Geschichte oder im Erzeugen einer bäuerlichen Welt?

Sie haben sich sehr auf den Text eingelassen. So knapp und sparsam, wie der Berger schreibt, so ist auch die Aufführung. Sie haben sich aber auch sehr genau mit dem bäuerlichen Leben auseinandergesetzt. Wie man Gras mäht oder sehr schwere Lasten trägt oder mit der Frage, wie Hände werden, wenn sie so viel arbeiten.

Hat das etwas Komödiantisches?

Sehr viel. Alles, was mit den Tieren zu tun hat, oder wenn die Schauspieler die Sträucher spielen, das ist ungeheuer komisch. Oder wie Lucie vom Leben in der Stadt erzählt. Das Stück hat zwar eine dunkle Grundstimmung, es gibt aber sehr viele Gegenlichter.

Fragen: Till Briegleb

12./13.5., Schauspielhaus, 19.30 Uhr