Hut-Geschichten

■ XXI. Ballett-Tage eröffneten mit Neueinstudierungen

Mit einem russischen Abend begannen am Sonntag die diesjährigen Ballett-Tage in der Staatsoper. Zwischen zwei Choreographien des russisch-amerikanischen Großmeisters George Balanchine setzte John Neumeier eine Neufassung seiner 1982 entstandenen Version der Petruschka nach der Musik von Igor Strawinsky.

Balanchines Musikverständnis ist ein Hochgenuß, vor allem im Violin Concerto zum D-Dur Konzert von Strawinsky. Die Konstruktion ist federleicht, das Bewegungsrepertoire phantasievoll, jazzige Elemente finden spielend Einlaß in die Welt des strengen Balletts. Hier dürfen die Ballerinen auf Spitze ihre Achse knicken, ihre Hüften schwingen – all das war 1972 bereits eine Vorwegnahme des Stils eines William Forsythe. Die abstrakte Choreographie huldigt der Musik und macht sie transparent, legt mal die Bläser in die Beine, verteilt mal die musikalischen Parameter auf die verschiedensten Körperteile – ein Ereignis so brüchig und sprudelnd wie die musikalische Vorlage.

Neumeiers Neufassung seiner Petruschka geriet dagegen zum Handwerk. Der Anfang ist sehr gelungen: Wenn der erdfarbene Petruschka seine Arme hebt, klauen zwei weitere Arme hinter ihm bereits den Hut auf seinem Kopfe. Doch dann entpuppt sich das Duo aus Zauber-Meister und Möchtegern-Meister sogar als Trio: Die Puppe entspringt zwischen den beiden Herren, doch im rosafarbenen Tutu steckt nicht sie, sondern Petruschka selbst – ein grandioses Gliedmaßen-Verwirrspiel, das die Beziehungen der Figuren untereinander sofort klarstellt. Von diesem Anfang abgesehen bleiben die Hut-Geschichten jedoch pantomimisch und daher blaß. Nach dem Motto: Frau entwendet Zylinder (excellente Ballerina: Bettina Beckmann), Zauberer muß mit gespreizten Fingern fuchteln (Gamal Gouda in finster schwarzem Anzug, wie soll es anders sein). Überzeugend dagegen die Konstellation des Ensembles in weiß: eine gigantische Volksfest-Maschinerie, ein Uhrwerk aus immer neu ineinandergreifenden Läufen.

Zum Posen-Geschnatter verkam der 4. Satz der Suite für Orchester Nr. 3 von Tschaikowsky, vom Choreographen Theme and Variations genannt. Balanchines nostalgische Nachkriegs-Arbeit von 1946 war zwar auch im Original im opulenten Ballsaal angesiedelt, aber in der Ausstattung von Zack Brown ersäuft der Tanz endgültig. Vor vergoldeten korinthischen Säulen erledigen die Ballerinen in lachsfarbenen Tutus mit Imitat-Diamant-Diadem auf gebändigtem Köpfchen artig lächelnd ihre historische Fleißarbeit. Einzig Otto Bubenicek brachte einen menschlichen Zug in die Klamotte – vom weichen Aushauchen der Bewegung bis zum Biß auf die Lippen zum faux-pas.

Trotz allem lohnt sich der Weg in den Nachkriegsbau, und sei es nur des Violin Concertos wegen. Im übrigen gastiert während der Ballett-Tage am 11. und 12. Mai das Cloud Gate Dance Theater aus Taiwan, ein Renner auf dem Wiener Tanz-Festival im letzten Jahr. Choreograph Lin Hwai-min verbindet Modern Dance mit Hoftänzen aus Korea und Japan und der Tradition der Peking-Oper. Der Titel, Nine Songs, bezieht sich auf die mehr als 2000 Jahre alten Gesänge eines chinesischen Dichters.

Leider ist dieses Gastspiel das einzige. Wie alle Jahre wieder ist zu beklagen, daß unser Hofchoreograph sich nicht zurücknimmt zugunsten von Gästen, wie das noch bei den ersten Hamburger Ballett-Tagen der Fall war. Es gäbe so viele zeitgenössische Choreographen, die das Publikum gerne sehen möchte. Neben einem Potpourri aus dem Neumeierschen Repertoire steht am 21. Mai wieder eine Nijinsky-Gala auf dem Programm, bei der u.a. Michel Kelemenis seine Hommage an den 1992 verstorbenen französischen Choreographen Dominique Baguet zeigt.

Gabriele Wittmann