Wenn Deutsche zu sehr feiern

■ „Die Freiheit hat Geburtstag“: Eine zur Anti-Kriegs-Veranstaltung gewendete Hitparade erklang im Thalia Theater

Auch wenn die Freiheit Geburtstag hat, gibt es noch lange keinen freien Eintritt. Es ist nämlich schön, drinnen im Thalia-Theater eine zur Anti-Kriegs-Veranstaltung umgewandelte Hitparade zu erleben, während sich draußen das gemeine Volk die Nase nach der Prominenz plattdrückt: „Die Freiheit hat Geburtstag - wir engagieren uns.“ Denn die unermüdlich um die am Sonntag abend zur Befreiungs-Gala ins Thalia-Theater geladenen Stars und Sternchen kreisenden ZDF-Kameras warfen auch ein wenig Glanz auf die geladenen Gäste. Schließlich war man ja – live! – im Fernsehen (Mutti, hast du mich auch winken sehen?).

Um die im Vorfeld geäußerten Unkenrufe einer derartigen Geburtstagsfeier zum 8. Mai – „Beschönigung!“, „Verdrängung“! – zu zerstreuen, hatte Thalia-Chef Jürgen Flimm schwere literarische Geschütze aufgefahren.

Kurze Texte von Wolfgang Borchert, Inge Deutschkron, David Memet, George Tabori und anderen Geistesgrößen unserer Zeit, flankiert von Bildern über Krieg, Hunger und Zerstörung in aller Welt, trugen dafür Sorge, daß die Geburtstagsfeier nicht zum musikalisch-bedenklichen Allerlei verkam.

Die Sängerin Khadja Nin aus Burundi gab mit ihrem Lied „Save Us“ den Startschuß zur Freiheits-Feier. So weit, so unstrittig. Dann kam, sah und schmerzte: Hermann van Veen, der mit einem Klezmer-Verschnitt den Gedanken „Wenn's anders ausgegangen wär“ vertiefte („Inzwischen wäre Hitler längst mehrfach Opa, wenn auch nicht von Eva Braun – Tralala“). Und als dann die Toten Hosen über die Bühne tobten, da ließ sich die eine oder andere geladene Honoration zu einem distinguierten Naserümpfen hinreißen. Komisch, daß die schrillen Jungs trotzdem viel mehr Applaus bekamen als Kultursenatorin Christina Weiss.

Zu einer schweren Gala-Krise kam es dann bei Klaus Hoffmann, der mit „Der Himmel schaut zu“ haarscharf an der Grenze zur Geschmacklosigkeit entlangschrammte. Dafür ging es aber umso schöner weiter mit Wolfgang Niedecken, Klaus Doldinger, den Prinzen, Konstantin Wecker und schließlich als Höhepunkt des Abends: den Leningrad Cowboys. Zugegeben, zwischendurch kamen auch noch solche wie der Berufsjugendliche Peter Maffey erschwerend hinzu, aber die zehn Riesentollen nebst ihren grandiosen Zwiebelturm-frisierten Ladies waren eine angemessene Entschädigung. Sie waren auch die einzigen Stars, die auch nach Abzug der Kameras, als die Türen für das gemeine Volk geöffnet wurden, nicht fluchtartig das Theater verließen, sondern sich von einer rauschenden Ballnacht tragen ließen, in der das Gedenken klein und das Feiern groß geschrieben wurde. All in all behielt Bodo Morshäuser Recht, der da so treffend sagte: „Wenn die Freiheit wirklich Geburtstag hätte, dann feierten wir nicht um die Wette.“

Silke Mertins