Gewalt gegen Leib und Seele

■ Hamburgs Kinder: Atemwegs- und Hautkrankheiten im Vormarsch / Gewalt gegen Kinder verstärkt zu beobachten / Studie vorgestellt Von Sannah Koch

Die Zahl der körperlichen und sexuellen Mißhandlungen von Kindern wird offenbar noch unterschätzt. Eine von 1992 bis 1994 in 26 Hamburger Kinderarztpraxen durchgeführte Erhebung brachte jetzt zutage, daß über 90 Prozent der Ärzte mehrmals im Jahr mit den Folgen von Gewalt konfrontiert sind.

Danach sahen sie etwa alle zwölf Wochen ein Kind, bei dem sie eine körperliche Mißhandlung vermuteten, und etwa alle 17 Wochen einen Verdachtsfall von Mißbrauch. In drei von vier Fällen sind Mädchen betroffen. Besonders schlimm: Zwei Drittel der Opfer von physischer Gewalt und die Hälfte der Opfer von sexuellen Übergriffen waren jünger als fünf Jahre.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel stellte gestern die Ergebnisse dieser Beobachtungen vor, die sie mit dem Berufsverband der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin initiiert hatte. „Wir wollten feststellen, wie die Gesundheitsprobleme von Kindern sich in den letzten Jahren verändert haben“, so Fischer-Menzel. Die Erhebung wurde aber auf die Bereiche Mißhandlung sowie Beeinträchtigungen von Atemwegen (Atemgeräusche, erschwerte Ausatmung) und Haut (Neurodermitis) beschränkt. Diese „Epidemien“ haben frühere Hauptgefahren wie Infektionskrankheiten oder Säuglingssterblichkeit verdrängt.

Nicht spezielle Schadstoffe, sondern Kälte scheinen bei Atem- und Hautproblemen kurzfristig ein wichtiger Auslöser zu sein – nach den Aufzeichnungen der Ärzte kamen an kalten Tagen mehr Patienten mit entsprechenden Beeinträchtigungen in die Praxen als an warmen. Allerdings ist die Konzentration von Luftschadstoffen (Stickstoffdioxid, Schwefeloxid) in kalten Jahreszeiten besonders hoch.

„Der Einfluß von Luftschadstoffe auf Atemwege und Haut ist insgesamt gering“, erklärten die Senatorin und der Berufsverbandsvorsitzende Dr. Klaus Gritz gestern dennoch. Ausnahme: An warmen Tagen mit erhöhter Schwebstaubbelastung leiden mehr Kinder am Atemproblemen als an warmen Tagen mit niedriger Belastung. Erhöhte Ozonwerte hätten wiederum keinen erkennbaren Andrang in den Praxen ausgelöst.

Die Zunahme von Allergien, so Gritz, sei vermutlich auf die wachsende Zahl von Umweltgiften zurückzuführen; diese schädigten die Abwehrbarrieren der Kinder derart, daß die Immunsysteme sogar gegen natürliche Stoffe wie Pollen und Tierhaare ankämpften.

Hamburg werde sich deshalb weiter für eine „Luftreinhaltepolitik“ einsetzen, versprach die Senatorin. Außerdem sollen Kinderärzte beim Umgang mit Kindesmißhandlung mehr fachliche Unterstützung erhalten und die Ko-operation mit den Hilfseinrichtungen verstärkt werden.