Das 8 1/2-Wochen-Ei

Hilti, Trude und der Weltraumstahl: Von einem,       der einzog, eine Lampe an seine Decke zu dübeln  ■ Von Sven-Michael Veit

Der Weltraumstahl versank im Beton wie der Löffel im Früh-stücksei. Ich stieg von meinem Stuhl und schaute ehrfürchtig zur Decke über dem Eßtisch empor. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet. Ein schönes, rundes, sauberes, exaktes Loch, viel zu schade, um verdübelt, beschraubt und von einer schnöden Verteilerdose verdeckt zu werden. Und dennoch, ich würde es tun.

Vor 8 1/2 Wochen war ich in meine neue Wohnung gezogen. 8 1/2 Wochen lang hatte der Beton über meinem Kopf jeden Versuch abgewehrt, ihn mit einer Lampe zu schmücken. Aber nun war der Sieg mein. Ich holte mir ein Bierchen aus dem Kühlschrank und genoß den Triumph.

Kläglichst war mein erster Versuch gescheitert. Meine Bohrmaschine, ein Erbstück, hatte ein wenig die Tapete angekratzt und war dann wimmernd erstarrt. „Du mußt so'n Spezial-Betonbohrer kaufen“, riet Freundin Bille, „der bringt's.“Gleich drei Modelle in den haushaltsüblichen Größen erwarb ich tags darauf für einen, sagen wir, angemessenen Betrag. Das Material sei von der NASA entwickelt, vertraute mir der Verkäufer an: „Rechtsdrehender Titanstahl, zwiefach genoppt. Liebt Beton.“

Meine senile Black & Decker nicht. Sie brachte eine Bohrung bis in drei Millimeter Tiefe nieder, versprühte ein paar Funken und verschied. Zwei Schlaghämmer, die ich bei Freunden schnorrte, wummerten durchaus vielversprechend. Sie hinterließen schmerzende Arme, Nackenstarre und einen eher breiten, aber dafür flachen Krater.

Drei Wochen lang würdigte ich die Decke keines Blickes mehr. Ich genoß die Fangopackungen, die mir mein Hausarzt bezüglich des Genicks verschrieben hatte. Nachdem ich der Halskrause nicht mehr bedurfte, fragte ich im Kollegenkreis um Rat. „Hilti“, riet der Ökoredakteur, „Du brauchst 'ne Hilti.“Was das sei? Bedenklich wiegte er den Schädel: „Sehr selten sowas. Sehr teuer“.

Ich dankte ihm für die unterlassene Hilfeleistung, wischte politisch-ökologische Bedenken beiseite und suchte einen Baumarkt auf, der im Verdacht steht, heimlich noch immer mit Tropenholz zu handeln. Aber ich wollte ja keine Bretter, sondern die Bohrmaschine aus dem Angebot: solidester Schwedenstahl, exzellenteste Verarbeitung, blaumetallic glänzend. „Und ein wartungsfreies Fünf-Gang-Getriebe mit einzeln gemufftem Doppelflansch“, flüsterte der Diplom-Fachverkäufer mit leuchtenden Augen. Man bekäme Schlechteres für einen Wochenlohn.

Mit entschlossenem Blick schraubte ich den orbitalen Titanen in den Schwedenstahl. Nach sieben Millimetern brach der vordere Handgriff. Überrascht trat ich einen Schritt zurück. Während ich rücklings vom Stuhl plumpste, sauste der vom rotierenden Bohrer auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Griff durch Zeit und Wohnraum, entlaubte die Schefflera, prallte als Querschläger vom Heizkörper in den Fernseher und kreiselte schließlich, von der Mattscheibe abgleitend, auf dem Parkett aus.

Drei Wochen lang verrichtete ich brav die krankengymnastischen Übungen, die mir mein Hausarzt bezüglich des verknickten Rückenwirbels angeraten hatte. Mit dem aufrechten Gang kehrte auch mein Kampfgeist zurück. Ich entschloß mich zur finalen Bohrung, zumal ich im Kollegenkreis zwischenzeitlich zweifelhaften Ruhm erlangt hatte.

Mehrfach war ich auf Redaktionskonferenzen zu Bulletins über den Stand meiner Bemühungen genötigt worden, die regelmäßig für mir völlig unverständliche Heiterkeit gesorgt hatten. „Hilti“, hatte jedesmal der Ökoredakteur geraunt, „Du brauchst 'ne Hilti. Sehr selten“. Die Stadt-entwicklungsredakteurin hatte angeboten, ihre Beziehungen zu SPD-Bausenator Eugen „Beton“Wagner spielen zu lassen. „Vielleicht leiht er Dir ja Trude.“Wen? „Na, dieses Riesenteil, mit dem sie jetzt die vierte Elbtunnelröhre bohren wollen.“Sie hatte vor Lachen einen Schluckauf bekommen; ich hatte ihn ihr gegönnt.

Durch eine gezielte Indiskretion wurde mir zugetragen, daß die Volontärin seit geraumer Zeit ein illegales Wettbüro betrieb, um ihr karges Salär aufzubessern. Nach jedem meiner Bulletins, gestand sie kein bißchen verlegen, setze sie die Quote neu fest: „120:1 zur Zeit. Die halbe Belegschaft hat schon gegen Dich gewettet.“Kurz zuvor hatte mich der Polizeireporter verschwörerisch blickend beiseite gezogen. Vielleicht sei mein Deckenproblem nicht unlösbar. In der Kiez-Szene, das habe er knallhart recherchiert, gebe es grad günstig Panzerfäuste aus sowjetischen Beständen. Falls ich erwägen sollte...

Wer solche Kollegen hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Keine Frage: Nicht nur mein Ruf als Heimwerker stand auf dem Spiel, auch meine Autorität als Redaktionsleiter schien bereits gelitten zu haben.

Die Rettung nahte, als meine Liebste, die mir in dieser schweren Zeit mehrfach Trost zugesprochen hatte, einen neueröffneten Werkzeugverleih ganz in der Nähe entdeckte. Am nächsten Morgen mietete ich dort ein zentnerschweres rotes Ungeheuer. „Damit“, versprach der Blaumann hinter dem Tresen, „damit können Sie ganze Stollen in Berge treiben. Das ist 'ne Hilti. Ein Einzelstück.“

Mit einem Seufzer der Erleichterung wischte ich mir den Bierschaum von den Lippen. Das ungetüme Unikat hatte den Weltraumstahl mit sonorem Baß sanft in den Beton getrieben. Ein schönes, rundes, sauberes, exaktes Loch, viel zu schade, um verdübelt, beschraubt und von einer schmucklosen Verteilerdose verborgen zu werden.

Und dennoch, ich werde es tun. Und morgen früh werde ich an diesem Tisch unter einer warm und freundlich scheinenden Lampe genüßlich mein Frühstücksei löffeln.