Im Auge des Hurrikans

■ Kreator und Paradise Lost beglückten die Metalgemeinde

Neulich, beim Esoterik-Kongreß, da riet Atemgymnastin Ilse Middendorf zum Freirütteln der Lebensgeister durch sanftes, stetes Hüpfen. Circa 200 Menschen bemühten sich redlich und konzentriert um Ausgelassenheit.

Die Metalgemeinde weiß von solchen Dingen ganz instinktiv. Ein restlos volles Aladin WAR ausgelassen, als Kreator und Paradise Lost zum kollektiven Schütteln einluden. Die Metalgemeinde schüttelt, weil Schütteln die richtige Bewegung am richtigen Ort ist, und weil es Spaß macht. Schütteln geschieht aus interesselosem Wohlgefallen. Kreator werden rubriziert unter Trash Metal. Trash heißt Schund, Trash Metal dagegen ist eine einzige Huldigung an Klarheit und guten Geschmack. Die Kleidung: schwarz. Das Licht: statuarisch. Rot zerfließt über der Bühne, wird abgelöst von Lila; Farben, so beißend nah beieinander wie in der Musik die Sekunde. Klar, ruhig und kraß ist diese Ästhetik. Die hurtige Geschwindigkeit der Musik ist nur ein Oberflächenphänomen, vielleicht zu Zwecken der Tarnung erdacht. Im Auge des Hurrikans aber herrscht göttliche Ruhe. Natürlich geht es bei Metal nicht nur um Kraft, sondern auch um Kontemplation.

Die Pathos Metaller von Lost Paradise bestätigen das mit ihren Diaprojektionen. Ohne Eile wandern Geflechte über die Leinwand, Baumgeäst, amorphes Geblubber, geflecktes Fell. Dazwischen symmtrische Formspielereien, wie von einem tätowierten Oberarm heruntergekratzt, und Gesichter der Stille: Buddha und ein einzigartig kitschiger Christus. Passend dazu ist Nick Holmes Gesang das Leiden Christi, also düster, rein und erhaben. Der Mann könnte in Wagners Ring den Wotan singen, allemal.

Wer sich blamiert mit der Bemerkung: „Das ist doch dumpf und eintönig“, den werden wir in Zukunft bestrafen mit der Frage: „Hast Du noch nie etwas von Zen-Buddhismus gehört?“

Warum sonst stehen alle Metaller so auf das Verbergen des Gesichts in Haarwatte? Es geht um Selbstbesinnung. Und so kommen wir also zu dem Schluß, daß Trash Metal der wahre Erbe des Gregorianischen Chorals ist. So ein Quatsch? Klar, aber hoffentlich doch ein netter. Barbara Kern