Startschwierigkeiten einer Studie

Die Cannabis-Vergleichsstudie am Krankenhaus Moabit kann noch nicht beginnen, weil die Exporterlaubnis der niederländischen Behörden auf sich warten läßt. 750 Probanden warten auf THC-Präparate  ■ Von Kim Kindermann

Der Start der bereits seit Monaten geplanten Cannabis-Vergleichsstudie des Instituts für onkologische und immunologische Forschung am Krankenhaus Moabit verzögert sich. Unter der Leitung des Niederländers Robert W. Gorter soll an 750 Aids- und Krebspatienten die Wirksamkeit von natürlichem Cannabis auf Körpergewicht, Appetit und Stimmungslage im Vergleich zu synthetisch hergestelltem THC untersucht werden. Insgesamt 28 deutsche, drei holländische sowie jeweils eine Universität in Österreich, Spanien und der Schweiz beteiligen sich an dem in Berlin stattfindenden Projekt.

Verzögert hatte sich der Beginn der Studie zunächst durch die in Deutschland bestehende Rechtslage, die den Einsatz von Cannabis als Medizin nach wie vor verbietet. Eine entsprechende Ausnahmeerlaubnis kann nur die Bundesopiumstelle erteilen, die zwar schon im Herbst 1994 eine prinzipielle Zustimmung zur Durchführung einer solchen Studie erteilte, aber bis Mitte diesen Jahres mit den Importgenehmigungen auf sich warten ließ. In den bundesdeutschen Ämtern konnte man sich nicht darüber einigen, ob das benötigte Cannabis in Deutschland angebaut werden darf oder nicht. „Man fragte mich schließlich, ob ich nicht meine Verbindungen in Amsterdam nutzen könnte, um Cannabis von dort zu beziehen“, beschreibt Gorter den findigen Pfad der deutschen Bürokraten.

So wurde das benötigte Extrakt von der Firma Hortapharm in Holland hergestellt. Unter dem Namen „Cannador“ entwickelte man eine Soft-Gelantin-Kapsel, die Cannabis als ganze Pflanze enthält. Die deutsche Importerlaubnis liegt zwar mittlerweile vor, doch die niederländischen Behörden lassen nun mit der Exporterlaubnis auf sich warten. Das synthetische THC („Dronabinol“) bezieht die Versuchsgruppe aus der Schweiz. Bei der Herstellung des Präparates gibt es allerdings auch noch Schwierigkeiten. Beide Produkte enthalten jeweils 2,5 Milligramm THC.

Sobald die beiden Mittel importiert sind, kann die Studie beginnen: Über einen Zeitraum von zwölf Wochen werden die Patienten zweimal am Tag eine Kapsel einnehmen. Was in dieser Kapsel allerdings enthalten ist, wissen sie nicht; so kann es entweder Cannador, Dronabinol oder ein Placebo- Präparat sein. Die Probanden müssen täglich ein Tagebuch zu Hause führen, in dem sie in Skalen ihre jeweilige Appetits-, Übelkeits- und Stimmungslage dokumentieren, alle zwei Wochen müssen sie zur Untersuchung ins Institut kommen.

Am Ende der Studie rechnet Gorter mit einer deutlich positiven Verschiebung in den jeweiligen Bereichen. Darüber hinaus erwartet er, daß bei dem pflanzlichen THC-Präparat Cannador weniger Nebenwirkungen auftauchen als bei dem synthetisch hergestellten Dronabinol. „Patienten in den USA, die sowohl mit dem synthestischen THC als auch mit Cannabis Erfahrungen gemacht haben, hatten weniger Kopfschmerzen, ein geringeres Schwindel- und Berauschtheitsgefühl“, weiß Gorter zu berichten.

Bei einer ähnlichen Studie in den USA mußten lediglich zwei Probanden abbrechen, da sie über ein ständiges Rauschgefühl klagten – allerdings gehörten sie zu der Gruppe, die Placebomittel verabreicht bekommen hatte. „Wir erwarten solche eingebildeten Nebenwirkungen auch in Deutschland, weil die Stimmung gegen Cannabis so aufgeladen ist, daß die Patienten es förmlich erwarten, ,stoned‘ zu werden“, gibt Gorter schon jetzt zu bedenken.

„Wir haben durch den ständigen Kontakt mit Krebs- wie mit Aidspatienten erfahren, daß die mit der Krankheit einhergehende radikale Gewichtsabnahme für sie nicht nur den früheren Tod, sondern auch eine deutliche Verschlechterung der Lebensqualität bedeutet“, berichtet Gorter. Der Einsatz von Marinol bedeutet daher schon einen großen Sieg für die Situation der Krebs- und Aidspatienten in den USA.

Als Gorter für zwei Forschungssemester nach Deutschland kam und feststellen mußte, daß Marinol hier verboten ist, reifte der Entschluß, für die Legalisierung von Cannabis als Heilpflanze zu kämpfen. Da aber nur durch eine Gesetzesänderung Cannabis als Medizin zugelassen werden kann, bedarf es einer ausführlichen Cannabis-Studie, die mögliche Therapieformen wissenschaftlich beweist. Erst durch einen erfolgreichen Studienausgang verbessern sich die Chancen auf die offizielle Zulassung in Deutschland. Immerhin ist der Vorstoß international einmalig, weil es sich hier zum ersten Mal um die Zulassung von natürlichem Cannabis (sprich: der ganzen Pflanze) handelt.

Wie gering das offizielle Interesse an solchen Studien ist, beweist allerdings auch die Finanzierung eines solchen Projekts; nicht eine Mark ist aus öffentlichen Kassen beigesteuert worden. Die eine Million teure Studie wurde ausschließlich durch Spendengelder ermöglicht.

Auch die Pharmaindustrie hatte kein Interesse: Mit der Herstellung von natürlichem Cannabis kann man viel weniger Geld verdienen, hierauf läßt sich kein Patent anmelden. Die Kapsel Cannador kostet deswegen nur zwei Mark, die synthetische THC-Kapsel hingegen sieben.

Die Ergebnisse der Studie hofft Gorter schon Ende nächsten Jahres vorstellen zu können. Sollte es zu einem positiven Bescheid kommen, will er sofort die Genehmigung für das Präparat beim Bundesinstitut für Arznei und Medizinprodukte beantragen. Ob das trotz erfolgreichem Ausgang der Studie gelingt, ist fraglich, denn in Deutschland handelt es sich beim Umgang mit Cannabis immer noch um eine politische und keine wissenschaftliche Entscheidung.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland mit der Genehmigung der Gorter-Studie dennoch zum ersten Mal Vorreiter im Umgang mit Cannabis als ganzer Pflanze: Die Bundesopiumstelle hat ihre Zustimmung bereits vor zwei Jahren gegeben, in den USA wurde dies erstmals Mitte diesen Jahres gefordert. Dieser Vorsprung schwindet allerdings mit jeder Verzögerung des Studienbeginns.