Doppelt hip und exotisch

Loving the Alien: Ein Abend mit Diedrichsen im Roten Salon  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Seltsam. Da steht also Diedrich Diederichsen (documenta), der sympathisch langhaarige Papst der deutschen Popkulturphilosophietheorie, im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und macht einen „Trailer“ zu einem dreitägigen „Symposium“, wie es vornehm so heißt, was Mitte November hier stattfinden wird. Thema: „Loving the Alien – Science-fiction, Diaspora und Multikultur“.

Die Veranstaltung wurde also nicht, wie sonst üblich, auf einer Pressekonferenz oder so vorgestellt, sondern die Vorstellung der Veranstaltung, das Anreißen der Positionen, die auf dem kommenden Symposion vermutlich vertreten werden, trat selber als eigenständige Veranstaltung auf.

Das fand Diederichsen, der sich und seinen Vortrag, den er auf dem Symposion in Englisch halten wird, mithin auch auf deutsch ankündigte, irgendwie auch komisch, und da ärgert man sich natürlich als Journalist, weil das ja eigentlich der eigene Job ist – Veranstaltungen, die da kommen mögen, vorzustellen. Auch kommt man sich ein bißchen blöde vor, über etwas zu schreiben, bei dem lediglich anderes angekündigt wird, einen Tertiär- oder Quartiärtext über einen Sekundär- resp. Tertiärtext zu schreiben, ohne selber den Primärtext vor sich zu haben.

Die Volksbühne nimmt das Vorspiel wieder in die eigenen Hände, denkt man dann und ein bißchen auch an Harald Schmidt. Der erzählte gestern auch wieder so einen ganz schlechten Witz, bei dem es um das neue interessante Buch von Hiltrud Schröder ging: „Mit eigenen Händen – Sex nach der Partnerschaft“ oder so. Ganz grauenhafter Witz, über den das gruslige Publikum ganz abscheulich lachte, weil es Frau Schröder, die zur gleichen Zeit paar Häuser weiter über ihre Ehe Auskunft gab (siehe hierzu die Besprechung auf der letzten Seite), für einen Alien hält und auch selbst von der Alienation durchdrungen ist.

„Loving the Alien“ also. Um den im letzten Jahr verstorbenen Sun Ra soll es gehen, um George Clinton, um Lee Perry, die „Nation of Islam“, schwarze Science-fiction und solche Dinge; um „afrodiasporische“ Science-fiction- Mythologeme, was möglicherweise gleich doppelt hip und exotisch ist, wenn man es mal böswillig formulieren will.

Andererseits natürlich sehr interessant. Hat man sich ja auch immer überlegt, wieso Sun Ra, der innovationsfreudige, elektronikbegeisterte futuristische Vater des Free Jazz, so komische Sachen erzählt – daß er auf dem Saturn geboren sei, daß ein Raumschiff kommen werde, um die Schwarzen zu retten –, wieso George Clinton und der Vater der Dub-Musik, Lee Perry, sich ähnlich Science-fictionmäßig mythologisierten. Scheint mehr zu sein als eine PR-Marotte, wenn großartige Künstler so was ihr Leben lang verbreiten.

Diederichsen (oder die, über die er referierte) liest das logischerweise als Metapher, wie es sich gehört, und versuchte dieser Metapher einen progressiven Sinn abzugewinnen und sie gegen rassistische, verträumte oder schlicht durchgedrehte Ufo-Theoreme abzusetzen: den allgemein vorherrschenden Ufo-Glauben in den USA (die Hälfte aller Amerikaner glaubt an Ufos, ganz selbstverständlich werde in tausend Talk- Shows über Entführungen durch Außerirdische geplaudert), die apokalyptisch-rassistischen Version der Nation of Islam, die der Ansicht ist, daß ein Raumschiff kommen werde, um die Schwarzen mitzunehmen – der Rest werde dann vernichtet. Louis Farakhan erzählte auch, daß er neulich auf ein Raumschiff gebeamt wurde und dort neue Direktiven von Allah erhalten habe – und von der hippieesken Spacebegeisterung von Jefferson Starship (v.a. „Blows against the Empire“), Timothy Leary, David Bowie, Nina Hagen usw.

Das ging so ein bißchen in die Richtung, daß die schwarze Mutterschiffmethapher von Sun Ra etc. also real unterfüttert, so auch diskurswürdig sei, weil die Schwarzen ja tatsächlich nach Amerika verschleppt worden seien (nur was macht er dann mit Lee Perry?), also als rassistisch Unterdrückte sozusagen wirkliche Aliens seien mit einer realen Heimat, wohingegen die Hippies als Weiße – um es mal primitiv zu sagen – keinen so rechten Grund für ihre Entfremdungsgefühle gehabt hätten.

Wenn man es mal zuspitzen will: Neben der rassistischen Unterdrückung wären also die Leiden unter dem Kapitalismus, Vietnam usw. zweitrangig, Nebenwidersprüche, selbst zu verantwortende Leiden. So ähnlich. Was andererseits natürlich nicht heißen soll, daß das Symposium nicht interessant werden wird – das wird es schon.

Aber ein bißchen erinnerte Diederichsens Vorschau und Werbung an eine Einführungsveranstaltung an der Uni, wo irgendein hipper, junger Professor seinen hippen, aufgeregten StudentInnen sein sowohl exotistisches als auch sehr progressives Semesterprogramm vorstellt. Hastiges Sprechen und die ständige Verwendung diverser Up-to-date-Begriffe der sogeannnten „culture studies“ („Kulturalismus“, „Identitätspolitik“ usw. usf.) suggerieren wichtige Jetztzeit, Dabeisein in Fragen, die gerade in ihrer Fragwürdigkeit, ihrer latenten Überflüssigkeit, ihrer Angreifbarkeit spannend werden, was ja generell für die wichtigsten Fragen des Popdiskurses gilt; sie sind wichtig, weil sie eigentlich überflüssig sind.

Nur verliert sich diese haltlose Wichtigkeit komischer Fragen und Themen, wenn sie im Theater als Uni so hip dozentenmäßig gestellt werden. Das wirkte also alles ziemlich ausgedacht, auch wenn Kultur natürlich dafür da ist, daß es einem seltsam vorkommt.

Wer wie Kraftwerk sagt, er mache „deutsche“ Musik, äußere sich irgendwie faschistisch, suggerierte Diederichsen, vermutlich ohne sich selbst darüber klar zu sein, daß das natürlich auch nur von einer fragwürdigen Diasporaposition aus einleuchtet.

Neulich erzählte mir eine Freundin einen sehr charmanten deutschsprachigen Witz: „Wohin fliegt der schwule Adler? – Zu seinem Horst!“

„Loving the Alien“, 14.–16.11. in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz mit Diedrich Diederichsen, Sun Ra Arkestra, diversen Vorträgen, Filmen, „Astro Lauch“, DJs usw. usf.