piwik no script img

Abschlüsse en masse

Der Weiterbildungsmarkt explodiert. Zweit- und Aufbaustudiengänge boomen. Doch wieviel die Anhäufung von Zertifikaten für den Berufsweg bringt, ist fraglich  ■ Von Mirko Heinemann

Das Arbeitsamt VII in Prenzlauer Berg brummt wie ein Wespennest. Nur im Berufsinformationszentrum ist es etwas ruhiger. Ein junger Mann stellt sich als Politologe vor, der einen Job sucht. „Ach je“, entfährt es der Sachbearbeiterin. Berufsaussichten sind so gut wie nicht vorhanden. Nun gut, das weiß der Politologe. Er möchte sich weiterbilden. Vielleicht eröffnet das ja neue Berufswege? Die Sachbearbeiterin hat Schwierigkeiten, überhaupt eine entsprechende Datenbank zu finden. Mitleidig fragt sie, ob der junge Mann denn nichts anderes gelernt habe? Der Politologe verneint. „Vielleicht gibt's ja was im Bereich Gewerkschaftsarbeit“, murmelt die Sachbearbeiterin vor sich hin. Endlich bekommt der Politologe eine Mappe ausgehändigt. Unter dem Buchstaben „G“ stehen da Optionen für die Weiterbildung. Zum Beispiel das Aufbaustudium Journalistik. Oder „Verwaltungswissenschaft“. Und dann „Kriminologie“. Weiß der Himmel, was das ist. Und was man später damit machen soll, steht dort auch nicht.

Natürlich war der Politologe beim Arbeitsamt im Prinzip richtig. Nur: Wer Geisteswissenschaften studiert, hat meist eine sehr diffuse Vorstellung, was später dabei herauskommen soll. Und damit können die SachbearbeiterInnen meist nichts anfangen. Anstatt zielgerichtet auf einen bodenständigen Beruf hin zu lernen, geht der Trend dahin, immer mehr zu studieren. Nicht zu Unrecht, denn lebenslanges Lernen wird immer wichtiger. Die Folge: Der Weiterbildungsmarkt explodiert. Rund tausend private Anbieter behaupten sich neben ebenso vielen „weiterführenden Studiengängen“ an staatlichen Hochschulen. Nach dem Diplom noch ein anderes, noch ein Aufbaustudium oder eine Promotion. Oder eine Fortbildung. Doch was bringt eine solche Anhäufung von Abschlüssen für den Berufsweg?

Die Hochschulteams der Arbeitsämter bieten individuelle Beratung und haben über die Datenbank KURS-DIREKT den Überblick über die Weiterbildungsangebote. Die Hochschulteams gibt es seit rund einem Jahr in jeder Universitätsstadt mit mehr als 20.000 Studierenden, die Adressen können über das lokale Arbeitsamt erfragt werden. Welche Weiterbildungsmaßnahmen im Einzelfall sinnvoll sind, läßt sich nur im Rahmen einer solchen Beratung herausgefinden. Was verbirgt sich hinter Begriffen wie „European Project Manager“ (Uni Bremen) oder was ist der „Magister Europastudiengang“ (RWTH Aachen)? Viele Aufbaustudiengänge sind an bestimmte Abschlüsse gekoppelt, andere wiederum sind für alle HochschulabsolventInnen offen.

Die Hoffnung auf verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt treibt vor allem technische Hochschulabsolventen in das nächste Studium. Während laut einer Studie von Karl-Heinz Minks vom Hochschul-Informations-System (HIS) 1989 nur ein Prozent der Maschinenbauingenieure nach dem Diplom weiterstudierte, erhöhte sich die Zahl mit der Einstellungskrise in den nächsten vier Jahren auf 12 Prozent. Dabei äußerten die wenigsten, an der Vertiefung des Wissens in einem Spezialgebiet interessiert zu sein, die meisten wollten ihre Berufschancen verbessern. Bei den Geisteswissenschaftlern ist das Interesse am Fach höher. Insgesamt machen etwa fünf Prozent aller Akademiker ein weiterführendes Studium.

Doch nicht nur die Hochschulen, sondern auch Privatfirmen offerieren immer mehr Angebote zur Fortbildung. Gerade im privaten Sektor differieren Preis und Qualität erheblich. Welche Angebote seriös sind, läßt sich am besten über Institutionen herausfinden, die es sich zum Ziel gemacht haben, einheitliche Qualitätskriterien zu erarbeiten. Um Fernlehrkurse kümmern sich das „Bundesinstitut für Berufsbildung“ in Berlin, die „Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht der Länder der Bundesrepublik“ in Köln oder der „Wuppertaler Kreis“, der sich der Weiterbildung von Führungskräften verschrieben hat und sehr hohe Qualitätsstandards anlegt.

Viele Weiterbildungsmaßnahmen werden über das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) oder das Bundesausbildungsförderunggesetz (Bafög) finanziell unterstützt. Das AFG wird angewandt, wenn AntragstellerInnen innerhalb der letzten drei Jahre mindestens 720 Tage einen beitragspflichtigen Job hatten oder ein Abschluß in Beruf oder Hochschule innerhalb des letzten Jahres erworben wurde. Bafög für ein Aufbaustudium wird dagegen nur vergeben, wenn „die besonderen Umstände des Einzelfalles dies erfordern“, sprich Krankheit, Unfall, Berufsunfähigkeit. Aber auch, wenn das Aufbaustudium – zusammen mit dem vorherigen Studium – die Berufstätigkeit erst ermöglicht. Und das ist auslegbar, wenn sich auch die Bafög-Ämter erst einmal sträuben.

Viele „Fortbildungen“ sind faktisch Umschulungen. So ließ sich der Politologe Martin G. aus Berlin mit finanzieller Unterstützung des Arbeitsamtes zum Multimedia-Producer „weiterbilden“. Seitdem erstellt er als Freischaffender CD-Roms und Homepages im Internet für Buchverlage und andere Medienunternehmen. Und mit „Gewerkschaftsarbeit“, wie die Sachbearbeiterin auf dem Arbeitsamt eingangs vermutete, hat dies nun endgültig nichts zu tun.

Literaturtips:

Hochschulrektorenkonferenz (Hrsg.): „Weiterführende Studienangebote an den Hochschulen der BRD“. Bock Verlag, Bad Honnef 1996, 36,80 DM

Berner/Giesen/Lucke/Stephan: „Studieren nach dem Studium“. Staufenbiel Verlag, Köln 1997, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen