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Hauptsache, Zeit für sich selbst

■ Der Arbeitsmarkt ist eng, Lehrstellen sind knapp, der Nachwuchs wurschtelt sich so durch. Ein Gespräch mit David (24), Wolfgang (25) und Conny (23) über das Lebensgefühl ihrer Generation

taz: Eigentlich wolltest du jetzt mitten im Studium stecken. Statt dessen sitzt du in einer Bank. Was ist passiert?

David: Wie das in der DDR so war, hatte ich schon mit 15 mein ganzes Leben verplant. Mit dem Mauerfall kam erst einmal das 13. Schuljahr hinzu. Da habe ich angefangen, mich komplett umzuorientieren. Ein Jurastudium dauert doch ewig hier im Westen, mit der ganzen Referendarzeit und so. Und dann die wirtschaftlichen Aussichten, die sind auch schlecht. Die Banklehre interessiert mich zwar nicht so richtig, aber es ist ein sicherer Job. Und etwas zu machen, wozu ich wirklich Lust habe – daran habe ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht.

Wolfgang: Ich arbeite als selbständiger Musikproduzent.

Conny: Und ich bin bei einer Krankenkasse gelandet. Furchtbar. In der Woche bleibe ich zu Hause, gehe früh ins Bett, und am Wochenende bin ich auch k.o. Das ist schon schade, weil ich das Gefühl habe, daß ich jetzt noch jung bin und trotzdem nicht machen kann, was ich will. Aber ich hab' wenigstens 'ne Ausbildung und 'nen Job. Ich hab' wenig Verständnis dafür, wenn die Leute sich ständig beklagen. Vor allem im Osten, wenn es heißt: Der Westen ist schuld.

David: Dort haben sich die Leute über ihre Arbeit identifiziert. Wenn man das nimmt, bricht da natürlich was zusammen.

Habt ihr eine Vorstellung, wie dieses Land in 10 Jahren aussieht?

Conny: Ich denke schon, daß es kräftig bergauf geht. Es gibt halt Sachen wie den Kohlebergbau, die nicht zu halten sind. Aber mit der Wirtschaft – das kommt wieder.

Wolfgang: Da bin ich nicht so sicher. Die Wirtschaftspolitik wird versaut. Rente, Alterspyramide, Kohle – das hätte man alles vor zwanzig Jahren sehen können.

Wie geht es weiter?

Wolfgang: Solange die Politik so auf Klientel und Lobbys bedacht ist, wird man immer faule Kompromisse suchen, um möglichst wenige zu verschrecken. Wenn man vor zehn Jahren jedem, der in der Kohlebranche tätig war, 100.000 Mark aufs Konto geschoben und ihm gesagt hätte: mach dich selbständig, wäre man wahrscheinlich billiger weggekommen. Nun bleiben sogar diejenigen auf der Strecke, die 1995 noch angefangen haben, im Bergbau zu lernen. Das ist doch absurd. Andererseits ist auch klar, daß es immer weniger Leute geben wird, die Arbeit haben, und daß die mit Arbeit immer weniger verdienen werden.

David: Wir werden nicht einmal den jetzigen Standard halten können. Alles läuft auf eine wirkliche Zweidrittelgesellschaft hinaus.

Wolfgang: Wer Arbeit findet, muß schon hochspezialisiert sein.

Habt ihr das Gefühl, mit Anfang 20 wissen zu müssen, was ihr den Rest eures Lebens machen wollt?

David: Das kann man doch gar nicht. Wer weiß, wie lange es noch Krankenkassen gibt. Und der Arbeitsmarkt ist absurd: Eigentlich muß man 23 sein, zwei Fremdsprachen beherrschen, fünf Jahre Auslandsaufenthalt und sechs Weiterbildungen hinter sich haben.

Wolfgang: Stimmt, mein Vater hat in den 60er Jahren ganz unten in einem Chemiekonzern angefangen und es bis zum Vorstand gebracht. So was gibt es kaum noch.

In den 60er Jahren gab es aber auch eine politische Bewegung von Jugendlichen und Studenten, die für ihre Ziele gekämpft haben. Könnt ihr euch vorstellen, daß so etwas heute noch mal passiert?

David: Die Werte haben sich total verschoben. Heute dreht sich doch letztlich alles ums Geld. Die Leute haben einen bestimmten Standard, und um den bangen sie. Und die Politik macht es vor: Da soll die Rentendiskussion wieder mal angefacht werden, weil die Rentner zuviel kosten, und dann geht's um die Steuerreform...

Das müßte euch aber doch nicht davon abhalten, für andere Werte einzutreten – gleiche Rechte für alle, gegen die Ausbeutung der Dritten Welt...

David: Das interessiert doch keinen mehr. Die, für die man dann kämpft, könnten einem den Standard ja schon wieder nehmen.

Wolfgang: Selbst bei den Grünen, die früher mein hehres Ideal waren, wird doch auch nur gemauschelt, da werden Kompromisse gemacht und so. Wenn ich heute zur Wahl gehe, passiert immer wieder dasselbe wie vorher, es passiert eben nichts. Und diese ganze Ideologiegeschichte fand ich immer schwierig. Ich will mich nicht bei den Antifas engagieren, irgendwelche Aufkleber kleben oder sagen, haut denen eins in die Fresse, die sind nicht meiner Meinung.

Was habt ihr für Werte?

David: Keine revolutionären. Wirklich wichtig ist mir, Zeit für mich selber zu haben. Ich nehme mir jetzt schon seit einem halben Jahr vor, mal wieder richtig Urlaub zu machen und ein Buch zu lesen.

Conny: Ich denke auch eher an mich selbst. Zeit ist ganz wichtig. Sonst habe ich mich drauf eingestellt, gut abgesichert tagtäglich zu jobben und am Monatsende mein Gehalt nach Hause zu bringen. Schön wäre es, wenn das mit ein bißchen weniger Arbeit ginge, z. B. mit einer 4-Tage-Woche. Interview: Jeannette Goddar

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