buchmessern: Heine für Feine
■ Zum Messerundgang braucht man vor allem starke Nerven und strapazierfähige Tüten
Was geschah wirklich in Lady Dianas letztem Jahr? Wer nach Donald Spotos Enthüllungen versprechendem Buch mit einer lächelnden Di auf dem Cover greift, wird enttäuscht sein: Das Buch ist leer. Weiße Seiten ohne Text, keine Buchstaben, keine Bilder, nur Papier. Die Leser werden radikal auf die eigene Phantasie zurückgeworfen, und dagegen ist in diesem Fall eigentlich auch nichts zu sagen.
Viele Bücher in den Messeregalen der Verlage sind gefaket. Eigentlich noch nicht fertig, stellen sie doch bereits einen äußerlich makellosen Warenkörper dar, als sei die Verpackung das Primäre und der Inhalt finde sich dann schon. Womöglich würde niemand bemerken, wenn alle Bücher solche Simulanten wären wie „Lady Di: Ihr letztes Jahr“. Wer liest schon Bücher? Wer interessiert sich fürs Ausgestellte? Das Herbstprogramm ist längst durch, gedruckt, verkauft, besprochen. Jetzt geht es für die Agenten der Lizenzabteilungen der Verlage darum, günstig die Rechte für Übersetzungen zu erwerben, jetzt entstehen in zahlreichen Pokerrunden die Herbstprogramme fürs nächste Jahr.
Die fertigen Bücher erfüllen dagegen nur noch einen Schaufenstereffekt und liefern den Beweis: Es wurde gearbeitet, es wurde Umsatz gemacht. Und deshalb gibt's um 16 Uhr ein Glas Sekt bei uns am Stand. Unser Autor Scholl-Latour wird dasein.
Bei dtv liegt ein großer Geschenkkarton aus: Essen und Trinken mit Heinrich Heine – ein buntes Buch mit Heine-Texten, Rezepten aus der französischen Küche und appetitanregenden Bildern. Beigepackt sind zwei Flaschen Wein. Literatur für Gourmets, Texthäppchen für Viertelesschlotzer, Heine für Feine. Um ihn sich kurzerhand in eine der zahlreichen Taschen zu stecken, ist der Karton zu groß. Schade, die Spezies der Messegrapscher, die nur dazu durch die Flure gehen, um alles einzusacken, was nicht festgenagelt ist, müssen unverrichteterdinge weiterziehen. Messegrapscher schleppen schwer an gut gefüllten Tüten und Beuteln mit Verlagsaufdrucken, sie tragen eine ZDF- Baseballmütze mit Mainzelmännchen und besitzen bereits die Literaturbeilagen sämtlicher europäischer Zeitungen. Denn das Noch-mehr ist die herrschende Maxime. So wie das Buch zum Titel schrumpft und der Autor zum Rädchen im Getriebe, regrediert der Mensch zum Besitzer. Das Habenwollen ist der instinktive Reflex auf die ausgestellte Fülle. Nur als Journalist muß man nicht nehmen, sondern bekommt. Statt Grapscher zu werden, wird man schlecht gelaunter Verweigerer. Haben Sie das schon gelesen? Ein wunderbarer Titel. Ich will es Ihnen ja gar nicht aufdrängen...
Nein, ich kann keine Bücher mehr sehen. Erholung verspricht da der Rowohlt Verlag, der zur Film-Preview einlädt. Bei Rowohlt erscheinen die Werke Nabokovs, das ist ein schöner Grund, um die neue „Lolita“- Verfilmung von Adrian Lyne vorzuführen, die in den USA verboten wurde, weil die Hauptdarstellerin erst 15 Jahre alt ist. In Nabokovs Roman, der im Tobis- Presseheft tatsächlich, unfaßlich, als das „Buch zum Film“ bezeichnet wird, ist sie zwölf. Man sieht im Film fast nichts Nacktes. Die Leidenschaft wird durch knisternden Stoff, Licht und Wasserspiele symbolisiert und ästhetisiert. Die schmutzige Phantasie muß man schon selber haben. Dagegen wäre auch nichts zu sagen, wenn der Film nicht so langweilig wäre. Wäre er nicht verboten, müßte man ihn bestimmt nicht sehen.
Mehr Unterhaltungswert verspricht das neue Werk von Joseph Vilsmaier über die Commedian Harmonists. Bei Kiepenheuer gibt es zur Buchpremiere von Thilo Köhlers Roman über die Commedian Harmonists Ausschnitte daraus zu sehen, eine schöne Gesangsszene in schummriger Kneipe, die Hauptfiguren in den typischen Vilsmaier-20er- Jahre-Kostümen mit Ballonmützen und so. Nach einem Messetag kann man Derartiges ganz toll finden. So funktionieren Messeabende. Man eilt von Empfang zu Empfang, grüßt und talkt, fährt zum nächsten Empfang, um dort dieselben Menschen erneut zu treffen. Ständige Unruhe, ständiger Ortswechsel. Erfahrene Partyhopper, so sagt die Legende, chartern sich ein Taxi für den ganzen Abend, bleiben überall 15 Minuten, in denen sie von allen Gästen gesehen werden müssen, und so fort. Das Leben ist kein Vergnügen, wenn das Vergnügen zur Arbeit wird. Aber was soll man tun? Jörg Magenau
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