Schlechter darf es nicht werden

Deutschland hat seinen ersten Lehrstuhl für Umweltethik. Naturwissenschaftler und Philosophen sollen nicht länger ihr eigenes Süppchen kochen, sondern gemeinsam der bedrängten Natur helfen  ■ Aus Greifswald Hermann-Josef Tenhagen

Wir wollen in Deutschland Marktführer werden.“ Der das erklärt, ist nicht etwa der Chef eines großen deutschen Unternehmens, sondern ein Biologieprofessor an der Universität Greifswald. Allerdings ein besonderer. Michael Succow, Vater der ostdeutschen Nationalparks, Gründer des Studiengangs für Landschaftsökologie und Naturschutz in der Hansestadt und Träger des diesjährigen alternativen Nobelpreises.

Sein neuester Coup: Die Uni Greifswald erhält die erste deutsche Professur für Umweltethik. Konrad Ott, ein 38jähriger Habermas-Schüler, wird künftig die Fragen nach dem rechten Umgang mit der Umwelt in Greifswald stellen. Ott hat in den vergangenen Jahren in Frankfurt, Tübingen und Zürich gearbeitet und dort ein Bewertungsmodell für ethnische Investitionen entwickelt. Gleich in seiner gestrigen Antrittsvorlesung widmete er sich dem offenkundigen Problem des neuen, einzigartigen Arbeitsplatzes. Wie könne man sich mit Umweltethik beschäftigen in einer Zeit, die so mies sei für den Umweltschutz. Otts Antwort: Gerade jetzt sei Umweltethik notwendig. Schließlich gebe es einen Konsens der Ethiker und auch der Gesellschaft, daß im Umweltschutz „ein Niveau begründet und geschaffen werden muß, daß oberhalb des heute existierenden liegt“.

Daraus folge, so Ott, ein Verschlechterungsverbot und ein Verbesserungsgebot. „Ein Rollback ist mit dem erreichten Argumentationsniveau nicht vereinbar. Und die ökologische Ethik kann den westlichen way of life nicht ungeschoren davonkommen lassen.“

Wer nun angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Probleme für eine Verschiebung solch schwieriger Fragen votiere, müsse sich fragen lassen, wann denn der richtige Zeitpunkt für den Umweltschutz gekommen sei. Und vor allem, ob denn wirklich noch Zeit dafür ist, ernsthaften Tierschutz, Umwelt- und Ressourcenschutz zu vertagen angesichts der drohenden Klimakatastrophe, angesichts des Sterbens der Wälder. „Als ich in der Schule war, war immer vom großen afrikanischen Regenwald die Rede“, sagte Konrad Ott. „Heute ist davon nicht einmal mehr ein Drittel übrig.“

Das Geld für das innovative Lehrangebot in Greifswald kommt nicht aus den Töpfen des Kultusministeriums in Mecklenburg- Vorpommern. Auch die zur Antrittsvorlesung extra angereiste Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) brachte keinen Scheck, sondern nur ein Grußwort mit. Finanziert wird die einzigartige Professur in Greifswald vielmehr vom Hamburger Versandhausunternehmer Michael Otto. Die Michael-Otto-Stiftung bezahlt für fünf Jahre die Anschubfinanzierung der Professur. Bis dahin will die Uni im bisherigen Stellenplan genügend Mittel gefunden haben, um das Prestigeprojekt weitertreiben zu können, erklärte Uni-Rektor Jürgen Kohler anschließend vor der Presse.

Die Arbeit des ersten deutschen Umweltethikers in Greifswald verspricht, spannend zu werden. Nicht nur, weil Ott keine einfachen Lösungen der ethischen Dilemmata versprach. Wer sich zusätzlich zum heutigen Menschen auch künftigen Generationen, der belebten und unbelebten Natur verpflichtet fühle, „muß sich noch mehr Abwägungsproblemen stellen. Ehrfurcht vor dem Leben zu haben heißt, schuldig zu werden.“ Ott erinnerte an Albert Schweizer, der das gute Gewissen für eine Erfindung des Teufels gehalten habe.

Auch an der Univeristät selbst muß, bei allem Prestige der Stiftungsprofessur, mit Widerstand gerechnet werden. Es hatte eines monatelangen heftigen Streits mit den in Greifswald traditionell starken Naturwissenschaftlern bedurft, um einen Philosophen einstellen zu können. Schließlich setzten sich aber die Befürworter eines übergreifenden Konzepts durch. Weder Naturwissenschafler noch Philosophen und Theologen sollen künftig im eigenen Saft schmoren dürfen. Ott bekannte, seine Umweltethik verfüge über nichts „als den zwanglosen Zwang guter Argumente“. Verbesserungen in der Nutztierhaltung gehören zu seinen Zielen, zu Tierversuchen sagte er jedoch (noch) nichts. Die Arbeitsstelle des Philosophen Ott ist bei den Naturwissenschaftlern angesiedelt.

Auch wenn Ministerin Merkel ohne Geld an die Ostsee gereist kam, Ansprüche formulierte sie schon. Sie drohte Ott, sich sicher bald ratsuchend an den nun einzigen Professor für Umweltethik in der Republik zu wenden. Merkel sagte auch, warum: Sie hat einen Arbeitskreis für Umweltethik eingerichtet, in dem sich Unternehmen, PolitikerInnen, Verwaltungen und Umweltverbände treffen. Und wie sollte Ott wenig später formulieren: Wenn man die Natur ernst nimmt, wird das Finden von Kompromissen, von Entscheidungen nicht einfacher. Sie werden aber hoffentlich besser.“ Uni-Rektor Kohler formulierte es am schönsten: „Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß.“