Harry Rowohlt hat keinen Po

■ ... und andere Informationen von der Buchmesse, dazu liebevolle Blicke auf Bremer und Bremerhavener Verlage

Oberhalb des Tisches sieht man immer nur einen Wuschelkopf, ein Glas Alkohol und ein Buch. Und unterhalb? Das ist das Schöne an der Frankfurter Buchmesse: daß man bei strahlendem Neonlicht entdecken kann, wie dünnbeinig und schmalhüftig Harry Rowohlt untenrum ist. Man möchte von Polosigkeit, mindestens aber von Poarmut sprechen.

Zweitens hatte der Haffmans Verlag wieder Porträts seiner Autoren aufgehängt, und ecce sowie voila: Der rote Faden durchs Verlagsprogramm besteht aus dem Silberblick seiner Autoren! Max Gold hat ihn, Eckhard Henscheid, Hugh Laurie, der schmalhüftige Herr Rowohlt, Andrew Lowan... es wird jedes Jahr schlimmer! Und jetzt zu etwas komplett anderem: die Bremer Verlage auf der Frankfurter Buchmesse.

Es gibt ja diese angestammten Kuschelecken auf der Buchmesse, zum Beispiel kuschelt die taz mit Haffmans und Rotbuch, und ein Bremer kuschelt mit, das ist der Haurausverlag Temmen. Diesmal u.a. rausgehauen: ein Hintergrundbuch zur Wehrmachtsausstellung; 175 Jahre Galopprennsport in Bad Doberan; Reiseführer Madeira und Irland (erstmals, nach Übernahme des Nürnberger BW-Verlages, in Eigenregie); und Schwarzwälders „Bremen im 17. Jahrhundert“. Ein Bilderbuch, so rausgehauen, daß beim einzigen Ansichtsexemplar vor Eile die Farben verschmiert waren.

Der Heidmück-Verlag ist sicher nicht böse, wenn man ihn nicht kennt, denn wer weiß schon, daß auch Tier-, Lirumlarum- und Bauernhaus-Quartettspiele einen Verlag haben. Eltern, denen die Quartette (Poster und Postkarten) erstens ähnlich und zweitens ins Anthroposophische lappend vorkommen, seien unterrichtet, daß die Illustrationen dem Pinsel von Eva-Maria Ott-Heidmann entstammen, die auch für den einschlägig bekannten Urachhaus-Verlag tätig ist.

Ich sach Bremensie, und du sachs? Schünemann, ist ja klar. Komischerweise zeigt Schünemann heuer kein neues Buch. Aber: massenhaft „Exklusive Kostbarkeiten“. Oder noch besser: „authentische Abformungen in original-adäquatem Material“.

Noch einer, der nix Neues hat: Manholt. Hat son büschen durchgehangen. Aber kommt wieder was. „Die letzten Tage von Peking“zum Beispiel, von Pierre Loti, nächstes Jahr. Und wer den französischen Film „Hotel du Nord“kennt, freut sich vielleicht über die Vorlage von Eugene Dabit. Bald bei Manholt. Der Verleger weiß natürlich, worauf es ankommt, und hat auf seinem Tisch einen FAZ-Aschenbecher plaziert.

Andere haben ihre FAZ-Rezension schon in der Tasche, und das Geldverdienen kann anfangen: Achilla Press („Hamburg/Bremen/Friesland“, genauer: Schortens) haben einen seinerzeit als unzumutbar betrachteten Melville-Schinken namens „Mardi – und eine Reise dorthin“nach 150 Jahren erstmals ins Deutsche übersetzt. 1.100 Seiten! Erst 350 Seiten Südseeabenteuer, dann viel schwer symbolisches Gewese. Vorläufer von „Moby Dick“, was damals auch niemand verstand. Doch jetzt, zur Buchmesse eine ganzseitige Besprechung! Jubel bei Achilla!

Und jetzt geht es auch einmal nach Bremerhaven; da kommen immer wieder aufs neue und durchaus beachtet die horen her. Ganz neu zur Buchmesse der Band 187: Vierundzwanzig Erzählungen aus Puerto Rico, die meisten neueren Datums und gar nicht mal so sehr politisch, sondern auch anständig erotisch oder sogar experimentell. Jedenfalls immer in Auseinandersetzung mit der übergrapschenden Amikultur. Weil so ausgesprochen schöne Fotos im Buch sind, wollen wir auch brav einer Bitte nachkommen und vermelden, daß es eine „Edition die horen“gibt mit der Aufforderung: „Das Fremde lesen!“Fremd: Island, die Sorben, Literatur aus dem Elsaß und noch viel mehr.

Husch-husch, her mit der Gerechtigkeit durch Vollständigkeit! Es gibt einen Bremer Verlag, der heißt UNIMED, verursacht „Lehr- und Lernbücher zugleich“, und zwar nach eigenen Worten das einzig Wahre für Menschen, die sich mit der neuen Approbationsordnung herumschlagen müssen. Ferner brauchen auch Kalender Verlage, in Bremen gibt es Palazzi, der macht so gleißend schöne Landschafts-, Space-, Ethno- und Maritimkalender, daß man darüber einschlafen möchte. Ein Reiseführer-Verbreiter ist der Gisela E. Walther-Verlag, der davon lebt, daß er englischsprachige Reiseführer übersetzt. Die Gründer waren mal Touristen, die sich ärgerten, daß die besten Reiseführer auf Englisch sind. Ach ja: megatel. Das ist eigentlich kein Verlag, sondern ein Softwarehaus und soll hier für die wuchernden elektronischen Medien stehen: megatel produziert digitale Karten auf CD-ROM. Apropos CD-ROM: Das komische Aldi-Kochbuch aus dem Eichborn-Verlag („Aldidente“; Kernaussage: Aldi ist Kult!) gibt's jetzt auf CD-ROM incl. Rezepte, einer Auflistung aller Filialen, Schlemmerquiz und son Quargel.

Jetzt zu den beiden komischsten Bremer Verlagen auf der Buchmesse: Der eine komischste Verlag ist die Hanseatische Verlags-Agentur. Sie beansprucht ca. zwei Regalmeter auf einem Gemeinschaftsstand mit dem Bund für deutsche Schrift und Sprache, Betonung auf „Schrift“. Bei beiden Unternehmen handelt es sich offenbar um Projekte zur Rettung/Rehabilitation einer Schrift namens Fraktur, die heute keiner mehr lesen kann, was angeblich schlimm ist, weil es doch die einzig „deutsche“Schrift ist. Zum zweiten komischsten Verlag wird man geschickt, wenn man bei dem Frauenverlag Zeichen und Spuren vergeblich nach Neuem fragt. Dann wird man zu Marty Brito weitervermittelt.

Marty Brito ist eine chilenisch-bremische Graphik-Designerin, betreibt einen Ein-Frau-Verlag und hat genau ein Buch. Aber einen eigenen Buchmessenstand, was sich angeblich sogar rechnet. Diesmal: ein Buch über die chilenische Volkskünstlerin Violetta Parra (1917-1967) mit Liedtexten, Biographischem, viel Buntem und einer CD (unter anderem, na was? Gracias a la vida). 120 Mark das Buch, welches am 6.11. im Haus am Park mit viel chilenischem Gedöns vorgestellt wird (Eintritt frei).

Burkhard Straßmann

Nachtrag 1: Was immer das heißen mag: KEIN Bremer Verlag hat Diana im Programm!

Nachtrag 2: Aus Anlaß von 40 Jahren Konkret (mein Gott!) diskutierte u.a. Jutta „Kampf-der-braunen-Eso-Pest“Ditfurth über „Was ist heute noch links?“Mit Sahra Wagenknecht. Eine überfällige Diskussion, fürwahr!

Nachtrag 3: Muß man alles glauben, was stimmt? Die Firma, die die Comic-Figur „Werner“vermarktet, geht an die Börse und bietet die „W-Aktie“feil.