Ein Entertainer vergißt das Basketballspielen nicht

■ Beim Turnier der Meister heißt der Unterschied zwischen Europa und USA schlicht Jordan

Paris (taz) – Mit ein paar schnellen Schritten läuft Michael Jordan zum Korb, erhebt sich hoch in die Lüfte, vollführt eine halbe Drehung, nimmt den Ball in beide Hände und stopft ihn rückwärts in den Korb. Tosender Applaus, Zuschauer springen auf und klatschen frenetisch Beifall, „Michael, Michael“-Chöre branden durch die Halle. Hat „der größte Athlet seiner Zeit“ (NBA-Commissioner David Stern) wieder einmal ein Basketballspiel in letzter Sekunde entschieden? Mitnichten. Der Rückwärts-Dunk ist lediglich eine kleine Aufwärmübung.

Michael Jordan war das ein und alles bei den „McDonald's Championships“ in Paris. Wenn er einlief, raste das Volk, wenn er den Ball berührte, rastete es aus, und wenn er einige seiner Täuschungsmanöver, Würfe im Rückwärtsfallen und verzwickten Korbleger vorführte, gerieten die 14.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im seit Monaten ausverkauften Sportpalast von Bercy vollends aus dem Häuschen. „Ich sehe mich als Entertainer“, sagte Jordan, angesichts des Enthusiasmus müsse er aber aufpassen, nicht „das Basketballspielen zu vergessen.“

Daß diese Gefahr nicht allzu groß wurde, dafür sorgte sein Team. Ohne Jordan wäre der Auftritt der Chicago Bulls in Europa eine triste Angelegenheit geworden. Zwei Wochen vor Beginn der NBA-Saison präsentierte sich die ohne Pippen und Rodman angereiste beste Basketballmannschaft der Welt weit entfernt von meisterlicher Form. Beim 89:82 gegen Paris St. Germain spielten die Bulls schlecht, beim 104:78 gegen Olympiakos Piräus besser, aber nicht überragend. Zum Turniersieg reichte es – dank Jordan. Der dominierte mit 28 und 27 Punkten nicht nur offensiv, sondern führte auch seine Defensivkünste vor. Wenn er zum Steal oder zum Rebound geht, energiegeladen und blitzschnell, erinnert er an einen von Spielbergs Veloziraptoren. Im Angriff machte es ihm sichtlich Spaß, die europäischen Gegner schwindlig zu spielen. Diese waren ihm nicht gram, sondern genossen die Sache. „Klar“, meinte Jordan, „wenn du immer davon geträumt hast, eins gegen eins mit Michael Jordan zu spielen, ist dies die Gelegenheit. Aber es ist kein Fernsehen. Du kannst nicht den Kanal wechseln.“ Nationalspieler wie Loncar, Tomic oder Bakatsias taten ihr Bestes, konnten Jordan aber natürlich nicht stoppen. „Sie schienen immer mit dem Schlimmsten zu rechnen“, freute sich dieser diebisch, und über Milan Tomic, der bei einer winzigen Körpertäuschung katapultartig in die falsche Richtung schoß, spottete er: „Ich dachte, er verliert seine Schuhe.“

Ein Vorurteil der US-Amerikaner besagt, daß Europäer keine Defense spielen können. Doch der Zufall wollte es, daß Chicago ausgerechnet gegen die Teams zweier Trainer anzutreten hatte, die den ganzen Tag von nichts anderem als Defense reden. Boris Maljkovic (Paris) und Dusan Ivkovic (Piräus) sind die herausragendsten Vertreter der jugoslawischen Trainerschule, hassen die NBA mit ihrer Verpflichtung zur Manndeckung, ihren Auszeiten und ihrer Show, und trichtern den Spielern ein, daß Basketball vorwiegend aus Verteidigung und Rebounds besteht. So staunten die Bulls nicht schlecht, als Paris 18 Offensivrebounds erhaschte und bei den Rebounds insgesamt mit 53:46 dominierte. Auch Europaliga-Gewinner Piräus hielt einigermaßen stand und brach erst im letzten Viertel ein, als die Kräfte nachließen.

Natürlich waren beide Trainer glücklich, es den US-Cracks ein wenig gezeigt zu haben, Ivkovic glaubte sogar, sein Team habe das Match drei Viertel lang kontrolliert, was auf eine schwere Wahrnehmungstrübung durch NBA- Abscheu schließen läßt. Michael Jordan stutzte die Europäer auf ein realistisches Maß zurück. „Wenn wir so in unserer Liga spielen“, sagte er nach der Partie gegen Paris, „gewinnen wir nie und nimmer das Match.“ Und auch nicht den sechsten NBA-Titel. Selbst für ihn dürfte es zuviel sein, die Mannschaft eine ganze Saison lang auf den Schultern zu tragen, so wie es am Wochenende der Fall war. Da hieß der Unterschied zwischen Europa und den USA eindeutig nicht Defense, sondern Jordan. Zwar würden Piräus, Barcelona oder Cordoba auch mit einem Michael Jordan niemals NBA-Meister, in Paris jedoch hätte mit Jordan jedes der sechs angetretenen Teams gewonnen. Matti Lieske