In der Provinz der Empfindungen

■ Lars Gustafsson über Existentialismus, Heimat und seine „Geheimnisse zwischen Liebenden“

Der Kopf ist leer, das Gefühl sparsam. Dick Olsson hält sich für weltmännisch und lernt die Provinz seiner Empfindungen kennen. Olsson, Werber und Protagonist aus Geheimnisse zwischen Liebenden hat dieselbe Nationalität wie sein federführender Erfinder, ist erfolgreich und obendrein genauso alt. Der schwedische Autor Lars Gustafsson über Köpfe und Liebe:

taz hamburg: Sie sind derzeit als Warburg-Professor in Hamburg, leben in Texas und verbringen einige Zeit im Jahr in Schweden – wo aber sind Sie zu Hause?

Lars Gustafsson: Mein Zuhause ist dort, wo ich arbeiten kann und ich von Menschen umgeben bin, die mich lieben.

In „Geheimnisse zwischen Liebenden“ist der Protagonist Dick Olsson Ihnen in Manchem sehr ähnlich: Er ist Schwede, er lebt in Austin, Texas, und er ist 59 Jahre alt – genau wie Sie.

Ich beschreibe die Welt, die ich sehe.

„Geheimnisse...“ist aber kein realistischer Roman.

Literatur kann allenfalls Leben simulieren. Und Literatur als Lebenssimulation, das ist ein Gedanke, den ich sehr sinnvoll finde. Meine Literatur spielt durch: Wie wäre es, wenn... Und dieser neue Roman handelt von einem, der spät zu sich selbst findet.

Olsson ist erfolgreicher Werbeexperte, dabei leer im Kopf und in seinen Gefühlen.

Er glaubte, alles zu wissen, und nun stellt er fest, daß es Welten gibt, die er überhaupt nicht berührt hat. Er sieht eine Frau, er entdeckt also den anderen. Es gibt einen jüdischen Existentialismus, der von Martin Buber und Emmanuel Levinas repräsentiert wird, der hat mich inspiriert.

Olsson fragt an einer Stelle: „Wie lenkt man die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen auf sich und behält sie?“Ist das Ihre Definition von Liebe?

Das ist erst einmal Olssons berufliche Philosophie. Dabei ergibt sich das Paradox, daß er selbst sehr selten etwas aufmerksam betrachtet. Und nun sieht er einen Augenblick lang aufmerksam wenigstens einen anderen Menschen – Eleonora, seine Putzfrau.

So fände Olsson durch die Liebe zu sich selbst?

Meine späteren Romane haben alle einen Parabelcharakter. Der Nachmittag eines Fliesenlegers handelt wohl von der Hoffnung, und Die Sache mit dem Hund von dem Bösen und die Geheimnisse zwischen Liebenden von der Liebe und vom Sich-selbst-finden. Natürlich ist es kein Zufall, daß ich einen Werbefachmann als Helden gewählt habe. Inzwischen ist Werbung derart elementar, daß selbst karitative Einrichtungen wie die Kirche sich der Hilfe von Werbeleuten versichern.

Darin treffen Sie sich ja mit Hans Magnus Enzensberger, dessen Polemik vom „Nullmedium Fernsehen“Sie in die „Geheimnisse ...“einfließen lassen.

Vielleicht ist unser Bewußtsein immer fragmentarisch und vielkanalig gewesen, unabhängig von der Bewußtseinsindustrie und den modernen Medien. Mein Interesse richtet sich auf eine bestimmte existentielle Leere. Und an Dick Olsson zeigt sich: Er schafft Sinn – in der Hinwendung zum Anderen, in dem Verlangen nach dem Geruch, den Geräuschen und der Anwesenheit einer Frau.

Fragen: Frauke Hamann

Lars Gustafsson, „Geheimnisse zwischen Liebenden“, Hanser Verlag, München 1997, 220 Seiten, 36 Mark. Lesung: heute, 20.30 Uhr, Buchhandlung Weiland, Quarree Wandsbek