„Entnazifizierung konnte nicht klappen“

■ Der Amerikaner Joseph F. Napoli, Leiter der Bremer Entnazifizierungsabteilung, sprach gestern vor StudentInnen an der Uni über den „Mißerfolg“des Entnazifizierungs-Programms

„Haben Sie keine Angst, radikal zu sein“. Dieser Satz schwebte gestern durch einen mit rund 50 StudentInnen besetzten Seminarraum der Bremer Uni – gesprochen von Joseph F. Napoli, der von 1946 bis 1948 die Entnazifizierung in Bremen durchzuführen hatte und daran nach eigenen Angaben scheiterte – weil, laut Napoli, immer noch 65 Prozent der höchsten Stellen in der Bremer Justiz von ehemaligen Nazis besetzt waren. „Von Ihrem Geist des Radikalismus hängt das Leben in diesem Land ab“, beschwor der 83jährige Amerikaner deshalb die anwesende „Jugend“im Saal.

Nur ein kleines Notizbuch hatte der Amerikaner sizilianischer Abstammung zu seinem Vortrag mitgebracht. Ganz spontan“sei das Gastreferat zustandegekommen, erklärt sein Bremer Bekannter Klaus von Münchhausen vom Fachbereich Erziehungswissenschaften. Napoli sei gerade in Bremen zu Gast. Da hätte er ihn einfach eingeladen.

Mit Sprüchen gegenüber zu spät erschienen StudentInnen („Warum verkaufen wir eigentlich keine Tickets hier?“) produzierte der 83jährige gleich erste verlegene Lacher. Denn Napoli liebt es eigentlich, „populär zu sein“– eine Tatsache, die ihm in seinen Bremer Zeiten allerdings nicht vergönnt war. „Wir waren alle unbeliebt – vor allem bei den Bankern, die ihre leitenden Positionen halten wollten“, beschreibt der ehemalige Leiter der Entnazifizierungsabteilung und Berater in Entnazifizierungsangelegenheiten der Militärregierung in Bremen.

Vom Bremer Haus des Reichs aus hatte Napoli, der vorher in der achten britischen Armee und später mit der amerikanischen 5. Armee in Nordafrika und Italien in den Krieg gezogen war, das beschlossene Entnazifizierungsprogramm der Besatzungsmächte zu organisieren. Allein 411.487 BremerInnen füllten Fragebogen aus mit 132 Fragen zur Prüfung von Ehre und Gewissen sowie Denken und Handeln in der Nazizeit. Allein 395.000 davon präsentierten sich dabei schuldfrei. „Diese Leute wollten alle Jobs haben. Was meinen Sie, wie ehrlich und sauber die ihre Angaben gemacht haben?“, fragte er in die Runde. Und gab sich selbst die Antwort: „Wir waren zu wenig Leute, um das zu überprüfen, und waren als Amerikaner gar nicht firm in der Nazi-Ideologie. Diese Entnazifizierung konnte so nicht klappen.“

Hinzu kam derbe Kritik: Wenn der Weser Kurier nach seinem Besuch im Internierungslager titelte „Napoli hat die Gefangenen als Kriminelle bezeichnet“. Oder wenn eine „Aristokratin aus New York“sich über ihn in Amerika beschwerte, weil ein ehemaliger SS-Hauptmann eine 17jährige Haftstrafe absitzen sollte – obwohl der Mann doch eigentlich „ein frommer Kirchgänger und der allerbeste Familienvater sei.“

Doch Napoli feuerte selbst den persönlichen Assistenten des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Wilhelm Kaisen. Den Namen des Mannes, der laut Napoli Mitglied der NSDAP-AO war, gab er gestern aber nicht preis. „Es war“, so erklärt sein Bekannter Klaus von Münchhausen den StudentInnen trotzdem, „der ehemalige Bundespräsident Carl Carstens.“Ein Statement, das ganz kurz und heftig für Aufregung im Seminarraum sorgte: Man dürfe den Namen nicht verraten, „Herr Napoli wollte ihn nicht sagen. Haben Sie denn keinen Respekt vor diesem Mann?“, schaltete sich eine erregte Studentin ein. Doch Napoli blickte nur kurz streng, dann redete er einfach weiter.

Von dem „Horror, der in den Konzentrationslagern passierte und den wir uns als Amerikaner nicht vorstellen konnten und der aus einem Land kam, das doch durch Goethe und Schiller bekannt wurde“. Und von der Zeit in Bremen, „in der ich mich gemeinsam mit dem Bürgermeister fragte, wie wir gemeinsam mit jungen Leuten diese Stadt wieder entwickeln könnten“. Denn liebend gerne hätte Napoli zum Beispiel die Schulen für ein Jahr geschlossen – um ehemalige Nazis aus den Lehrstätten zu vertreiben. Doch dazu kam es nicht. Napoli beendete seine zeitlich befristete Aufgabe in Bremen und griff damals auch den Bremer Senat wegen mangelnder Unterstützung an – die Entnazifizierung sei ein „Mißerfolg“gewesen, resümierte er gestern. Dabei hätte er für die Jugend, „von der so vieles abhängt“gerne mehr getan, hörten ihn die StudentInnen noch zum Abschluß sagen. Katja Ubben