■ Vorschlag
: Helmut Baumann inszeniert „Gypsy“ am Theater des Westens

Gypsy Lee Rose ist US-amerikanische Showlegende. Ein Kinderstar wider Willen, der, statt eine Broadway-Karriere zu machen, zu einem Striptease-Star aufstieg. Hierzulande kennt man weder ihre Lebensgeschichte noch das darauf basierende Musical von Arthur Laurents (Buch), Jule Styne (Musik) und den Texten von Stephen Sondheim. Zweimal diente das 1959 uraufgeführte Stück als Filmvorlage. Bette Midler holte sich mit der Hauptrolle vor wenigen Jahren einen Golden Globe, in Deutschland verschwand der Film gleich wieder in der Videothek.

Auf den Wiedererkennungswert konnte Helmut Baumann mit seiner Inszenierung also nicht setzen. Weil sie nie eine Chance hatte, ihre Showtalente zu entfalten, müssen nun die beiden Töchter von Rose daran glauben. Vor allem Louise soll ein Star werden. So schleppt sie die beiden in Kindertalentshows und die Varietétheater, mit altbackenen Tanz- und Gesangsnummern, in denen Onkel Sam besungen wird und Jungs in weißer Gardeuniform mit Gewehren paradieren oder wahlweise Countryboys mit einer Kuh tanzen. Louise (Susanne Eisenkolb), ein kindliches Negligé-Flittchen, das auch gerade Mareike Amados „Mini Playback Show“ entsprungen sein könnte, kann den Fängen der Mutter entfliehen. Nun wird June (Ruth Braucher) zum Verfolg gedrillt, den sie sich schließlich selbst verschafft: nicht als Schauspielerin, sondern als Königin des Striptease. „Gypsy“ ist ein Stück über die Emanzipation einer jungen Frau: June befreit sich von ihrer Mutter, um für den Erfolg wie für die Flops künftig selbst verantwortlich zu sein. Rose muß sich eingestehen, daß sie zwar immer vorgab, alles für die Töchter getan zu haben, letztlich aber doch nur ihre Enttäuschung über die eigene Erfolglosigkeit als Künstlerin verarbeiten wollte.

Solche Entwicklungsschritte werden in Baumanns Inszenierung leider häufig nur behauptet, aber im Spiel nicht entwickelt, wie auch die die Show überragende Angelika Milster bisweilen die Dramatik ihrer Rolle zugunsten einer eher komödiantischen Auflösung freigebig opfert. Auch wenn sich die Charaktere oftmals nicht deutlich genug entfalten, als Figuren bekommen sie eine enorme Präsenz. Mit Spannung verfolgt man die Handlung, und der Abend in seiner Einheit wird zu einem außergewöhnlichen Musicalgenuß. Axel Schock

Theater des Westens, Kantstr. 12, täglich außer montags, 20 Uhr