Sieg über Fundamentalismus

Ein radikaler Abtreibungsgegner darf einen Nürnberger Gynäkologen nicht länger als „Kindermörder“ diffamieren. Telefonterror gegen den Arzt  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Der Herr wird's schon richten“, hatte der radikale Abtreibungsgegner Johannes Lerle noch am ersten Verhandlungstag im Nürnberger Landgericht gehofft. Doch alle Bibeln, Kruzfixe und Plastikflöten, die seine Sympathisantenschar mitgebracht hatte, blieben ohne Wirkung. Lerle darf künftig den Frauenarzt Andreas Freudemann, der im städtischen Klinikum eine Praxis für ambulante Schwangerschaftsabbrüche betreibt, nicht mehr als „Kindermörder“ beschimpfen. Sollte er Aussagen wie „Dr. Freudemann foltert – schlimmer als im KZ“ noch einmal wiederholen, dann sind Geldbußen bis zu 500.000 Mark oder ersatzweise sechs Monate Haft fällig. Schon bevor Andreas Freudemann im Juni dieses Jahres zusammen mit seinem Münchner Kollegen Friedrich Stampf vor dem Bundesverfassungsgericht den bayerischen Abtreibungs-Sonderweg zu Fall gebracht hat, war seine Praxis ins Visier der sogenannten Lebensschützer geraten. Nach dem Karlsruher Urteilsspruch im Juni dieses Jahres erhöhte sich der Druck der radikalen Abtreibungsgegner. „Sechs Wochen lang bin ich täglich 24 Stunden lang über mein Notfalltelefon terrorisiert worden“, berichtet der 41jährige Gynäkologe, dann seien auch noch die Flugblätter aufgetaucht. Die Flugblätter mit der Überschrift „Kindermord im Klinikum Nord“ hatte der 45jährige Laienpriester Lerle verteilt, der schon 1990 Flugblätter für die „Aktion Leben e.V.“ unterzeichnet hatte. Die im Odenwald ansässige Vereinigung aus rechten christlichen Fundamentalisten war wegen ihres aggressiven Auftretens bereits vom Kirchentag ausgeschlossen worden. Der nach eigenen Angaben 40.000 Mitglieder zählende Verein diffamiert landauf, landab Mitarbeiter von Beratungsstellen als „qualifizierte Tötungsberater“ und setzt Abtreibung mit Mord, abtreibende Ärzte mit „KZ-Lagerkommandanten“ gleich. Bei seiner Kampagne in Nürnberg beließ es Lerle nicht beim Flugblattverteilen. Auf dem Gehweg vor der Klinik sprach er sogar Kinder an: „Weißt du, daß hier drinnen kleine Kinder ermordert werden?“

„Ich habe mir lange überlegt, ob ich gegen diesen Mann vorgehen soll“, betonte Freudemann nun vor der 17. Zivilkammer des Landgerichts. Für ihn stehe an erster Stelle, daß die betroffenen Frauen in Ruhe und ohne Druck ihre Entscheidung für Abtreibung noch einmal überdenken können. „Wenn meine Praxis unter Polizeischutz steht, dann gibt es kein solches Nachdenken mehr.“

Lerle berief sich dagegen auf die Meinungsfreiheit: „Ich benenne nur Tatsachen, und wer Kinder im Mutterleib killt, darf sich nicht beschweren, als Killer bezeichnet zu werden.“ Zu seiner Rechtfertigung zog der Laienpriester nicht nur den Gewerkschaftsslogan „Akkord ist Mord“ heran, sondern berief sich auch auf das Bundesverfassungsgericht (BVG), das den Satz „Soldaten sind Mörder“ nicht als Beleidigung eingestuft habe. Mit demselben Recht dürfe er den Arzt als „Berufskiller“ bezeichnen.

Genau dies dürfe er nicht, beschied ihn Freudemanns Rechtsanwältin Christine Roth. Nur in seiner allgemeinen Formulierung habe das BVG das Zitieren des Tucholsky-Ausspruchs als nicht strafbar gewertet. Schon bei einer Konkretisierung auf Bundeswehrsoldaten gelte das jedoch nicht mehr. Um so mehr sei dies aber der Fall, wenn eine Person namentlich genannt werde, wie in diesem Fall eben der Gynäkologe Freudemann. Roth machte deutlich, daß ihr Mandant gegen niemanden vorgehen wolle, nur weil der anderer Meinung zum Schwangerschaftsabbruch sei. „Wir müssen aber verhindern, daß mit einer solchen Hetze ein Klima wie in den USA oder in Frankreich entsteht, wo aus Worten Taten geworden sind“, begründete sie ihre Klage auf Unterlassung wegen Beleidigung und Rufmord. Sie verwies dabei auf Frankreich, wo schon jetzt Abtreibungskliniken von Spezialeinheiten der Polizei vor radikalen Abtreibungsgegnern geschützt werden müssen, und auf die USA, wo bereits mehrere Abtreibungsärzte ermordet wurden.

Richter Jens-Roger Schmidt, Vorsitzender der Zivilkammer, gab schließlich dem Antrag von Freudemann und der Stadt Nürnberg in vollem Umfang recht. Vergeblich hatte er zuvor an Lerle appelliert, einzelne Äußerungen zurückzuziehen.

Daß Lerle nicht, wie er vorgab, als Einzelkämpfer gehandelt hat, bewies nicht nur die Anwesenheit des eigens aus Karlsruhe angereisten Vorsitzenden der „Partei bibeltreuer Christen“, Gerhard Heinzman, am Nürnberger Landgericht. Kurz nach der Beschlagnahme von knapp 3.000 Flugblättern in Lerles Erlanger Wohnung tauchten vor dem Klinikum Nord neue Flugblätter der „Aktion Leben e.V.“ auf. Darin wurde Freudemann nicht mehr als „Kindermörder“, sondern als „Tötungsspezialist“ diffamiert. „Die wollen millimetergenau ausloten, was nicht mehr strafbar ist“, kommentiert Freudemanns Anwältin dieses Vorgehen. Auch gegen diese Flugblätter hat sie Strafanzeige erstattet.