„Kohl muß weg. Du mußt her“

■ PDS startet ihr Mitgliederprojekt „PDS 2000“. Das Problem der Partei: Mehr als die Hälfte der Mitglieder ist älter als 65 Jahre

Berlin (taz) – Parteimitglieder zu werben war eine über vierzig Jahre hart trainierte Spezialmaßnahme der SED, bei der sie es zum Schluß auf eine beachtliche Form holzhammerartiger Agitation gebracht hat. Mit dem „Aufgebot Ernst Thälmann“ und ähnlichen attraktiven, immer wiederkehrenden Kampagnen wurde das Reservoir überzeugter Kader ständig vergrößert. Diese leidliche Erfahrung mag die PDS dazu bewogen haben, seit 1989 auf aktive Mitgliederwerbung zu verzichten.

Sie hatte auch keinen richtigen Grund. Mit rund 105.000 Mitgliedern ist sie auch heute noch die mit Abstand stärkste Partei im Osten. Die Genossen werden jedoch immer älter. Ein einziger Blick ins Neue Deutschland, Rubrik Todesanzeigen, zeigt die für die Partei unangenehmen Folgen dieser Altersentwicklung. Allein im vergangenen Jahr hat die Partei 10.000 Mitglieder verloren; fast alle von ihnen sind gestorben. Austritte waren kaum darunter. Bevor es für die Partei im wahrsten Sinne des Wortes lebensbedrohlich wird, hat die PDS-Führung gestern das Mitgliederprojekt „PDS 2000“ gestartet. Das Motto: „Kohl muß weg. Du mußt her“.

Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch bemühte sich gestern ausdauernd, diesem Projekt einen politischen Sinn zu geben, um nicht ständig über die Überalterung der Partei reden zu müssen. Die PDS werde ihre Mitgliederstärke in den Wahlkampf einbringen, sagte er, und 1998 in Bonn nicht das Zünglein an, sondern ein Gewicht auf der Waage sein. 54,5 Prozent der Mitglieder seien zwar über 65 Jahre alt, räumte Bartsch schließlich ein, aber die PDS sei entgegen anderslautenden Behauptungen im Osten auch in der Altersgruppe bis 30 Jahre die mitgliederstärkste Partei. Was er nicht sagte: Die jungen Leute unter 30 Jahren machen ganze zwei Prozent der PDS-Mitglieder aus. Bartsch versuchte dann vergeblich, dieses für die Partei reale Problem in einem dialektisch anmutenden Satz aufzulösen: Die Altersstruktur der PDS sei kompliziert, sagte er, nicht weil die Partei zu viele ältere, sondern weil sie zuwenig jüngere Mitglieder habe.

Die Kampagne, die gestern in der Parteizentrale in Berlin sowie in allen Landes- und Kreisgeschäftsstellen mit einem Tag der offenen Tür begann, wendet sich vor allem an drei Zielgruppen: junge Menschen, Frauen – mit 46,6 Prozent hat die Partei schon jetzt den höchsten Frauenanteil aller im Bundestag vertreten Parteien – sowie ehemalige Mitglieder der SED und der DDR-Blockparteien. Letztere werden nicht etwa wahllos mit einem in millionenfacher Auflage verbreiteten Rundschreiben geworben, betonte Bartsch. Die Kreisverbände der PDS allein würden entscheiden, welche ehemaligen SED- oder etwa CDU- Mitglieder in ihrem Umfeld sie ansprechen, um sie werben. Vorbereitet dafür sei ein von Parteichef Lothar Bisky und von Bundestagsgruppenchef Gregor Gysi unterzeichneter Brief. Getragen wird das Mitgliederprojekt vor allem aus Anzeigenkampagnen in Zeitungen, Beilagen in Unizeitungen, Postkartenaktionen in Szenekneipen und Gesprächen vor Ort.

Daß die Partei für neue, junge Leute durchaus attraktiv ist, hat auch Angela Marquardt bei einer gerade beendeten Westtour erlebt. Die Resonanz gerade an Gymnasien und Hochschulen sei groß gewesen, berichtete die Sprecherin der AG Junge GenossInnen. Interessiert hätten sich die jungen Leute vor allem für das Programm der Partei, insbesondere in Bildungs- und Ausbildungsfragen. „Bei uns“, sagte Dietmar Bartsch, „beginnen die Jungen Wilden nicht erst über Vierzig.“ Jens König

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