Kompromiß am Runden Tisch

■ Der Streit um das Mißtrauensvotum gegen die russische Regierung scheint beigelegt. Präsident Jelzin will künftig strittige Fragen vorab mit den Vorsitzenden der Parlamentskammern klären

Moskau (taz) – Die Vorsitzenden der beiden Kammern des russischen Parlaments schienen zufrieden. Nach einem Schlichtungsgespräch mit Präsident Boris Jelzin und Regierungschef Wiktor Tschernomyrdin meinte der kommunistische Vorsitzende der Duma, Gennadi Selesnjew, indes übervorsichtig: „Ich schließe nicht aus, daß die Initiatoren des Mißtrauensvotums den Antrag zurückziehen werden.“ In der vergangenen Woche beabsichtigten die Kommunisten, die größte Fraktion des Unterhauses, die Regierung durch eine Mißtrauensabstimmung zu Fall zu bringen. Präsident Jelzin intervenierte in letzter Minute und bot der Opposition Verhandlungen am Runden Tisch an, obwohl die Aussichten für einen Erfolg der Kommunisten nicht allzu vielversprechend aussahen.

Der Runde Tisch, dem neben Jelzin und Tschernomyrdin die Vorsitzenden der beiden Kammern, Wiktor Strojew und Selesnjew, angehören, soll als konsultatives Organ erhalten bleiben. Darin ist wohl das wichtigste Ergebnis der Kompromißrunde zu sehen. Erstmals zeigt sich Jelzin willens, strittige Fragen im voraus mit dem ungeliebten Parlament zu klären. Diese Signale dürften ausreichen, um die kommunistische Fraktion, die mehrheitlich nur auf Druck der Führung für einen Mißtrauensantrag gestimmt hätte, dazu zu bewegen, die Abstimmung morgen von der Tagesordnung zu streichen. Darüber hinaus erhielt das Parlament eine vorläufige Zusage, im 2. Kanal des staatlichen Fernsehens eine regelmäßige Parlamentsstunde einrichten zu können. Auch die Herausgabe einer eigenen Zeitung wird erwogen. Über die Berichterstattung der russischen Fernsehsender, die die Arbeit der Volksvertretung meist kritisch darstellen, soll, so wünscht die Opposition, eine Art Rundfunkrat wachen. Auch das ist noch Verhandlungssache. Heute trifft sich Jelzin mit den Vertretern der Fraktionen. Die Kommunisten wollen am Abend entscheiden, ob sie den Mißtrauensantrag noch einmal zur Abstimmung stellen.

Premier Tschernomyrdin gab sich nach dem Vermittlungsgespräch sehr zuversichtlich: „Alles, worauf wir uns geeinigt haben, ist realistisch und entspricht dem, was Staat und Gesellschaft zur Zeit dringend brauchen.“ Die versöhnliche Haltung Jelzins erklärte er damit, daß alle Voraussetzungen für Stabilität in der Gesellschaft gegeben seien. „Der Präsident bestätigte erneut, dies sei sein Hauptanliegen.“ Die kommunistische Parteiführung wird hingegen einige Verrenkungen machen müssen, um der radikalen Klientel ihr friedfertiges Verhalten zu erläutern. Denn trotz Kompromiß wird sich am Regierungskurs nichts ändern. Doch rücken die kommunistischen Amtsinhaber damit näher an die Macht heran. Klaus-Helge Donath