■ Nachschlag
: Schau, wie es dich bülbüln tut: Oskar Pastior las zu seinem 70sten

Alle Last einer Lesung liegt auf dem kleinen, gebügelfalteten, geseitenscheitelten Jungen neben mir. Nicht bewegen, nichts reden, noch nicht mal was verstehn. Eltern sind grausam. Aber immerhin: Auf einem Schreibblock auf seinen Knien entwirft er Fußballtrikots für seine Mannschaft, probiert verschiedene taktische Marschrouten, durchdenkt mögliche Aufstellungen: kleine Fluchten unter Langweilern. Sonst langweilt sich aber niemand. Denn Oskar Pastior ist ein großer Vorleser, Vortrager, Interpret seiner Gedichte. Und das Lesen macht ihm Spaß. Nicht umsonst feiert er seinen 70. Geburtstag nicht, wie mancher Großdichter, im voraus, um am Festtag seine Ruhe zu haben, sondern am Geburtstag selber, mitten unter seinen Lesern. Und das sind nicht wenige. Die Räume des Literaturhauses in der Fasanenstraße sind überfüllt.

Nach ausführlichen Lobpreisungen durch Herbert Wiesner und Herta Müller kommt der Dichter selbst zu Wort. Pastior (an diesem Abend für jedermann kurz schulterklopfend „Oskar“), der vor beinahe 30 Jahren aus Rumänien in die Bundesrepublik kam und mit einem schönen, kehligen östlichen Akzent spricht, liest aus seinem neuesten Gedichtband vor. Seine Gedichte sind „experimantallyrisch“, „lautmalpoetisch“, ein wenig Dada, ein wenig Wiener Gruppe. Man hört gerne zu, es klingt so schön, und alles bedeutet irgendwas. Oder scheint doch etwas zu bedeuten. Nur durch den Klang, durch das neue Zusammensetzen altbekannter Wörter. Das ist natürlich megasubjektiv, und jeder Leser liest es anders. „Das Gedicht liest seinen Leser“, heißt es in einem Pastior-Gedicht. Das trifft sicher auf wenige Gedichte mehr zu als auf seine eigenen. Herta Müller umschrieb dies in ihrer Laudatio so: „Liebe Feinschmecker der Analyse: Keine Texte ließen mir so viel Platz wie diese.“ Pastior soll einmal zu einem Germanisten, der ihn mit der verwickelten Analyse eines seiner Gedichte beeindrucken wollte, gesagt haben: „Wenn man's findet, wird's wohl auch dringewesen sein. Ich habe ein viel banaleres Verständnis von meinen Texten.“

Wir auch. Und zitieren hier kurz einiges aus unserer lautmalerischen Schnellmitschrift: „Schau wie es dich bülbüln tut mein alter zimtstern“; „Hoj, was da abwest im dümpel sermon“ und schließlich, für jeden ähnlich zu verstehen: „vom löschen des durstes abgesehen / ist das hören des genitivs / der hosenträger der erkenntnis.“ Alles sehr schön. Gelangweilt hatte sich nur einer, und Herta Müller fragte am Ende: „Mensch Oskar, wie hast du das gemacht?“ Volker Weidermann