Einer muß der Leithammel sein Von Carola Rönneburg

Man muß nicht erst alt und wild nach Rheumadecken werden, um in den Genuß einer Gruppenreise zu kommen. Je mehr Ersatz für die aussterbende Großfamilie geschaffen wird, desto öfter geht man mit Freunden, Kollegen und Bekannten auf große Fahrt – meistens mit der Bahn, weil keiner der nüchtern zu haltende Busfahrer sein will.

Leider möchte aber auch niemand der Reiseleiter sein – ob aus Respekt gegenüber den anderen, aus Faulheit oder ob dunkler Erinnerungen an eine Jugend voller Basisdemokratie. Ich möchte aber behaupten: Einer muß der Leithammel sein, und er muß dazu geboren sein. Während der letzten Mehrpersonenunternehmung, an der ich teilnahm und die ich exemplarisch nennen möchte, habe ich für diese These unerschütterliche Beweise gesammelt. Fallbeispiel Nummer eins: Die reisende Gruppe, zusammengesetzt aus Freunden, Kollegen und Bekannten, hat vor, gemeinsam ein Abendessen einzunehmen. Ein eindeutiger Treffpunkt und halb acht sind ausgemacht. Zum vereinbarten Zeitpunkt sind zwei Freunde, ein Bekannter und ein Kollege vor Ort. Das macht vier von sieben. Eine Freiwillige bricht deshalb auf, die anderen zu suchen. Selbstverständlich taucht kurz nach ihrem Verschwinden das vermißte Trio auf. Einer von ihnen folgt wiederum der Sucherin, zwei von den pünktlich Eingetroffenen gehen in verschiedenen Richtungen davon, um eben noch Zigaretten aufzutreiben. Die Verbliebenen überfällt plötzlich der dringende Wunsch, schnell noch mal zu Hause anzurufen. Dreißig Minuten später ist die Gruppe zur Hälfte wieder beisammen und will schon wieder den Rest suchen gehen. Sie wären noch heute dabei, hätte ich es ihnen nicht verboten.

Fallbeispiel Nummer zwei: Die Herde, von mir in eine Einer- und drei Zweierreihen geteilt, wartet an der Bushaltestelle. Das Gespräch dreht sich um die Frage, ob man nicht einfach ein Taxi nehmen solle. Eine vernünftige Stimme von hinten weist darauf hin, daß nur vier Personen in einem Taxi Platz finden und daß also zwei Fahrzeuge vonnöten wären. Ungläubiges Gemurmel ist die Folge, durchgezählt wird gleich mehrmals. Gott sei Dank naht ein Bus.

Nummer drei: Ein Kollege aus der mittleren Reihe übernimmt die Führung. Mit dem Ruf „mir nach“ stürzt er durch die Tür und wirft sich in die letzte Bank. Wir folgen. Es ist der falsche Bus.

Nummer vier: Der leicht geknickte Verein hat nach der Stadtrundfahrt wieder frischen Mut gefaßt und bildet zum fünften Mal eine Traube vor einem Lokal. Hier scheinen endlich alle Wünsche erfüllt: moderate Preise, akzeptable Einrichtung, ein Tisch am Fenster und Haxe mit Kraut. Nur das richtige Bier fehlt. Ich schiebe mich an die Spitze des Zuges. Unter meiner Führung beschreiben wir einen Kreis. Ich beschleunige entschlossen und steuere erneut das Gasthaus an. Geschafft: die Horde kann nicht mehr bremsen und rauscht durch die Tür. Einmal am Platz, moniert man nur noch, es gehöre sich nicht, Freunde, Kollegen oder Bekannte zu beißen, nicht einmal in die Schulter.

Und so wurde es doch noch ein schöner Abend, den wir später in einer Kneipe meiner Wahl ausklingen ließen. Später bestellte ich drei Taxis. Eins davon ganz für mich allein.