Nur mit Schippe zum Sozialamt

■ Unionsfraktion: Kommunen sollen neues Sozialhilferecht besser nutzen. In Leipzig besteht bereits Arbeitspflicht – ein Drittel zieht daraufhin den Antrag auf Sozialhilfe zurück. Die Kommunen sparen dadurch Millionen

Berlin/Bonn (taz) – Städte und Gemeinden sollen Langzeitarbeitslosen mehr Jobs anbieten und die Möglichkeiten des Sozialhilferechts für Sanktionen stärker nutzen. Dies forderten CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble und der CDU-Sozialpolitiker Ulf Fink gestern in Bonn. Kein Arbeitsfähiger dürfe sein Einkommen aus Sozial- und Arbeitslosenhilfe bestreiten, „ohne eine Gegenleistung zu erbringen“, so Schäuble. Der Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, warf Schäuble vor, diese Forderung entspreche einem „Arbeitsdienst“ und sei ein untaugliches Mittel gegen die Erwerbslosigkeit.

Auf einem Kongreß am 18. November in Berlin will die CDU/CSU-Fraktion beraten, wie die beiden „Fürsorgesysteme“ von Arbeitslosen- und Sozialhilfe stärker miteinander verzahnt werden können. Die beiden Politiker beklagten, daß bislang nur wenige Gemeinden die neuen Regelungen im Sozialhilferecht nutzen, um Arbeitslose in Jobs zu bringen. Als positives Beispiel nannten sie die Stadt Leipzig, wo jedem Antragsteller auf Sozialhilfe eine Arbeit zugewiesen wird. Mit denkwürdigem Ergebnis: 37 Prozent der arbeitsfähigen Antragsteller in Leipzig nehmen die Tätigkeit in dem stadteigenen Betrieb für Beschäftigungsförderung (BfB) nicht auf und bekommen daher auch keine Sozialhilfe, erklärte auf Anfrage Ulrike Lucas, Abteilungsleiterin im Sozialamt Leipzig. In Lübeck, wo alle erwerbsfähigen Antragsteller an die gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft „gab“ verwiesen werden, ließen daraufhin 27 Prozent ihr Ansinnen fallen. Die Stadt errechnete dadurch Einsparungen von elf Millionen Mark.

Warum die Antragsteller lieber auf die Sozialhilfe verzichten, als die Jobs anzunehmen, darüber gibt es nur Vermutungen. Einige hätten vielleicht Partner, die sie mitfinanzieren würden, sagt Lucas. Möglicherweise landeten einige auch in Schwarzarbeit, glaubt Holger Jahnke, Betriebsratsmitglied der „gab“. Der Betriebsrat der „gab“ sieht die Zwangsverpflichtung zur Arbeit kritisch. Das Verfahren „demütige“ die Menschen in einem ansonsten sinnvollen Projekt.

Die Leipziger BfB bietet nicht nur Sozialhilfeempfängern, sondern auch den Beziehern von Arbeitslosengeld und -hilfe ABM-Jobs an, die über das Arbeitsamt finanziert werden. Da seit dem 1. April 1997 der Berufsschutz im Arbeitsförderungsgesetz nicht mehr gilt, können in den BfB- Maßnahmen jetzt auch Akademiker zu allen Tätigkeiten herangezogen werden. In Projekten zur Entschlammung beispielsweise malochten „Ingenieure und Hausfrauen“ nebeneinander, erklärte Frank Luther, Mitarbeiter der BfB-Betriebszeitung. Das Entgelt darf allerdings nicht geringer sein als die Arbeitslosenhilfe. Auch Alleinerziehende mit Kindern ab sechs Jahren werden zur BfB geschickt und sollen dort einen Teilzeitjob annehmen.

Die BfB unterhält Bautrupps, Gaststätten, Baumschulen, Werkstätten, eine Druckerei, Tankstellen und übernimmt viele kommunale Sanierungsarbeiten. Insgesamt verfügt die BfB über 4.500 Plätze. Sozialhilfeempfänger, die hierher geschickt werden, arbeiten erst für einige Monate in einem selbstgewählten Bereich für zwei Mark in der Stunde, die sie zuzüglich zur Sozialhilfe bekommen. Sie werden geschult und nach der „Probezeit“ ein Jahr lang sozialversicherungspflichtig angestellt, nach eigenen Lohntarifen. Das Durchschnittsnettoentgelt liegt bei 1.500 Mark im Monat. Anschließend haben sie wieder Anspruch auf Geld vom Arbeitsamt. „Ein Verschiebebahnhof“, wie Kritiker sagen. Lucas vom Sozialamt Leipzig hat festgestellt, daß von 100 ledigen Sozialhilfeempfängern, die ihren Job bei der BfB 1994 antraten, drei Jahre später nur acht Prozent wieder beim Sozialamt auftauchten. „Das ist eine gute Bilanz.“

Den engagierten Verfechtern des Beschäftigungsprojekts ist die Zwangsverpflichtung durch die Kommune lästiges Stigma. Sie verweisen auf die vielen tausend, die froh sind, hier einen Job gefunden zu haben, der mehr einbringt als die Sozial- oder Arbeitlosenhilfe. „Wer von Arbeitszwang redet, der hat mit den Leuten hier nicht gesprochen“, sagt Luther. „Fragen sie mal einen 55jährigen, der hier einen Park instand hält. Der hätte nirgendwo mehr eine Chance gehabt.“ Barbara Dribbusch