Panikmache gilt noch

Trotzdem: Udo Lindenbergs Marsch durch die eigenen Intentionen endet vorerst in der Oper, wo er sich – „Belcanto“ – als Chansonnier in Begleitung des Deutschen Filmorchesters Babelsberg präsentiert und Gutes tut  ■ Von Gunnar Leue

Udo L. wurde nicht oft mit den Stones verglichen. Am Montag abend schon – im Foyer der Deutschen Oper. „Wenn gealterte Männer anfangen rumzuhampeln, wird's albern“, fand eine gealterte Dame und lobte sich den Auftritt Lindenbergs, dessen Konzert gerade eine Pause machte. Udo ist 51, von einem Herzinfarkt genesen und wohl deshalb auch der Meinung, zuviel Albernheit müsse nicht mehr sein. Jedenfalls schlüpfte er in neue Kleider.

In doppeltem Sinne, denn er kommt sowohl mit neuem Outfit als auch mit neuem Soundgewand daher. Weißer Anzug, Gamaschen, „freigelegte“ Haare unterm Hut. Der Mann machte sich fit für „Belcanto“, eine Umschreibung für den schönen Auftritt des Sängers. Den aus Gronau zieht es inzwischen in die Opernhäuser, um dort die eigenen Songklassiker weniger rockig und dafür ganz besonders klassisch zu präsentieren.

Udo wäre freilich nicht Udo, wenn er wie jeder in die Jahre gekommene und nach neuer Aufmerksamkeit heischende Rockveteran einfach nur „mal was Neues“ ausprobieren wollte. Nein, es muß schon eine Botschaft darin stecken, auf daß die Albernheit doch noch ihre Chance kriegt. Nicht nur in Bonn gebe es nämlich „Reformstau/Samenstau“, auch in der Popmusik. Weshalb der Alterspräsident des Deutschrock bei der kürzlichen Vorstellung seiner neuen Schaffensperiode im Adlon genau wie Roman Herzog in seiner „Berliner Rede“ zuvor einen Ruck anmahnte: diesmal einen durch die Popkultur.

Lindenberg hat am Jahrhundertende schon mal Bilanz gezogen und dabei den „Spirit“ großartiger Künstler erfaßt, um „eine Brücke aus den goldenen 20ern ins Jahr 2000 zu schlagen“. Den ewigen panischen Zeiten folgt der Besinnungstrip zur Wahrung kultureller Werte und des Angedenkens an Marlene Dietrich, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Friedrich Hollaender.

Als Begleiter wählte Lindenberg das Deutsche Filmorchester Babelsberg. Das ist – obwohl durch die Zusammenarbeit mit Shirley Bassey oder Helen Schneider über einen guten Ruf verfügend – gerade wieder von Abwicklung betroffen, was dem Abend zusätzliche Schwere und Melancholie zu verleihen drohte. Der verdiente Balladenschmied des Volkes hatte ohnehin angekündigt, Konzertsäle in Badeanstalten zu verwandeln.

Doch zunächst ergoß sich kein Tränenmeer, sondern eine Welle von Streicherklängen, die jede Hoffnung der Rockerfraktion im Publikum hinwegspült, das Orchester sei nur ein Gag ihres Idols. Der aber meinte es richtig ernst mit dem Ball pompös, wie auch jene Unentwegten erfuhren, die beim Opener „Cello“ sofort in Mitsingerei verfielen, um jedoch gleich verwirrt innezuhalten, als die Sinfoniker einsetzten. Die balladeske Textzeile „Wo bin ich nur gelandet?“ brachte dem Sänger dafür vereinzeltes Gelächter bei denen ein, die statt des Chansonniers lieber den alten Rocker wollten.

Dabei sind Lindenbergs Hit- Balladen wie „Horizont“, „Bis ans Ende der Welt“ oder „Mädchen aus Ostberlin“ nun wirklich klassikkompatibel, und die Orchestralen geben sich als professionieller Partner, die sich nie in den Vordergrund drängen oder die Songs in klebriger Süße ersticken. Da auch Lindenberg seine den verstorbenen Meistern erwiesene Reverenz von Schnoddrigkeit freihielt, standen alle Zeichen auf respektable Show.

Doch man wäre nicht beim Offen-für-alles-Udo, würde er nicht noch den Beweis seiner allseitigen Toleranz aus dem Hut zaubern. Also ließ er nicht nur eine Berliner Nachwuchssängerin Tucholskys „Augen in der Großstadt“ vortragen, sondern mußte unbedingt auch hanseatische Multikulti- Rapperinnen in Kosmonautenanzügen über die Bühne jagen. Das paßte zu seinen Step-Einlagen und Interpretationen von „Brechts Liebeslied“ oder Marlene Dietrichs „Illusions“ wie die Bronx zu Bremen.

Und weil Udo jedermann Gutes tun will, versöhnte er zum Schluß wieder alle, als er, von seiner Mini- Panikband unterstützt, zum Grand Finale blies. Da rockte das Publikum das Opernhaus. Was nicht den Eindruck verwischte: Es scheint, der alternde Star hat seinen neuen Kosmos gefunden. Das „Cello“ spielt in der Oper.

„Belcanto“ – Udo Lindenberg und das Deutsche Filmorchester Babelsberg: Zusatzkonzert im Konzerthaus am Gendarmenmarkt am Montag, 27.10., 20 Uhr