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: Sendezeitverüberflüssigung

„Tempo, Tempo – Die atemlose Gesellschaft“, Di, 22.15 Uhr, ZDF.

Entpolitisierung – Informationsflut – Sittenverfall – Schnellebigkeit... Für derlei kulturpessimistische Schlagworte ist die Früher-war-alles-besser-Generation namens „ZDF-Zuschauer“ doch immer zu haben. Für den Sender Grund genug, aus einem der Schlagworte mal eben Programm zu machen.

Da zeigt man, beispielsweise, kleine Schnellebigkeits-Filmbeiträge, in denen vor allem viel Zeitraffer („der beschleunigte Mensch“) und wenig Zeitlupe („der entschleunigte Mensch“) zu sehen ist, und zwischenzeitlich läßt man die „EQ“-Expertin Gertrud Höhler und den „Zeitexperten“ Karlheinz A. Geißler (im Beisein eines Samy-Molcho- geschulten Nachfolgers namens Steffen Seibert) diskutieren, was von den Filmbeiträgen im Speziellen und der annoncierten „atemlosen Gesellschaft“ im Allgemeinen denn wohl zu halten sein möge: Ob nämlich unser Jagd- und Fluchtinstinkt vielleicht der Grund für all die Beschleunigung ist? Oder Lust? Oder Geld? Oder die Eisenbahn? Oder gar das Patriarchat? Ist es das Überangebot? Oder protestantische Ethik? Oder die Schweizer Uhrenindustrie? Und was war noch gleich das Thema? Entpolitisierung? Informationsflut? Sittenverfall? Das geht Ihnen alles zu schnell? Damit, daß H&M tatsächlich jede Woche eine neue Kollektion unter die Jungmenschen bringt, kommen Sie doch auch klar.

„Tempo, Tempo“ wirkte wie der Mitschnitt eines Brainstormings, das dem gleichnamigen ZDF-Programmschwerpunkt hätte vorangegangen sein können, war aber dann schon die Auftaktsendung. Initiiert von der Redaktion „Kirche und Leben, ev.“ jagt Mainz nun rund um den Reformationstag (31. Oktober) fast täglich dem Phantom der „atemlosen Gesellschaft“ hinterher, bzw. hat die Kultur- und Wissenschaftsredaktion allem, was im ZDF-Programm von weitem danach aussieht, den Stempel „Tempo, Tempo“ verpaßt: Kulturreportagen und Tiersendungen, „aspekte“, „Gesundheitsmagazin Praxis“ und nicht zuletzt der (Sende)-Zeitverschwendungssendung „nachtstudio“.

„Am Ende dieses Beitrags“ hieß es am Dienstag am Anfang eines Beitrags, „sind Sie vier Minuten und 35 Sekunden älter.“ Anders gesagt: Wer Zeit fand und findet, sich das alles anzuschauen, hat längst noch keine. Christoph Schultheis