■ Thailand spekuliert über die Gesundheit seines Premiers
: Fluchtpunkt Alzheimer

„Er ist verrückt. Er zeigt deutliche Anzeichen von Alzheimer.“ Diese nicht sehr schmeichelhafte Diagnose des Geisteszustands von Thailands Premierminister Chavalith Yongchaiyudh macht seit Tagen die Runde in Bangkok. Auf den ersten Seiten renommierter Zeitungen erklären obskure und bekannte Ärzte sich – und der entsetzten Öffentlichkeit – auf diese Weise, warum der Regierungschef die hochverschuldete Wirtschaft des Landes so zielstrebig in die schwerste Krise seit Jahrzehnten laufen läßt. Die thailändische Währung und die Aktienkurse stürzen unaufhaltsam weiter, Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit nehmen rapide zu.

Statt aber wie angekündigt mit dem verfilzten Finanzsystem aufzuräumen, weniger öffentliche Gelder auszugeben und mehr Steuern einzutreiben, ist Chavalith damit beschäftigt, um jeden Preis an der Macht zu bleiben. Die Belege für die Alzheimer-These sind, gelinde gesagt, gewagt: So ließ sich Chavalith zum Beispiel nach dem Rücktritt seines gesamten Kabinetts dabei erwischen, wie er ein fröhliches Liedchen summte. Zudem, monierte ein Mediziner, habe der Premier kürzlich „merkwürdig verstimmt“ reagiert, als er auf die verbreitete Armut im Land angesprochen wurde. Jüngster Hinweis: Um die Demonstranten von der Straße zu holen, wollte er am Dienstag sogar den nationalen Notstand ausrufen lassen, woran ihn König und Armee glücklicherweise gehindert hätten. „Amazing Thailand!“ heißt der Bangkoker Werbeslogan, der Touristen und Investoren anlocken soll, und erstaunlich ist das Land tatsächlich: Hier gibt es eine bemerkenswert freie Presse, die ständig über die schamlose Korruption klagt und einzelne Politiker beim Namen nennt. Sie hat der Öffentlichkeit wenig Zweifel daran gelassen, daß die Wirtschaftskrise hausgemacht ist – auch wenn die internationalen Währungsspekulanten die Probleme verschärfen.

Wie neidisch muß Chavalith da sein, wenn er an seinen malaysischen Nachbarn Mahathir Mohamad denkt! Der hat die Zeitungen fest im Griff. Zensur und Selbstzensur funktionieren. Wenige wagen es in Kuala Lumpur, dem Premier zu laut zu widersprechen, wenn er „ausländische Spekulanten“ und „Juden“ für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich macht. Nur einen Trost hat der thailändische Regierungschef: Die meisten Menschen in seinem Land leben immer noch in den Dörfern und sind zu arm und zu ungebildet, um die Zeitung zu lesen. Die kommen gar nicht auf die Idee mit dem Wahnsinn. Jutta Lietsch