EU verfettet die Schokolade

Das EU-Parlament wird heute die Schokoladenrichtlinie kippen, damit die Industrie Fett beimischen darf. Afrikanische Kakaoländer fürchten um Export  ■ Aus Straßburg Alois Berger

„Die Schokolade vom Kontinent löst sich im Mund etwas anders auf“, meint Patrick Reynolds, „und ist vor allem etwas bitterer.“ Reynolds muß es wissen. Er hat sich in letzter Zeit beruflich viel Schokolade auf der Zunge zergehen lassen. Der Ire, nach eigenen Angaben mit britischer Chocolate aufgewachsen, hat im Auftrag des Europaparlaments das Problem mundgerecht vorgekaut. Denn die Abgeordneten entscheiden heute, ob die Schokoköche künftig auch Pflanzenfette statt Kakaobutter unterrühren dürfen.

Für die Schokoladenindustrie ist das nicht nur eine Geschmacksfrage. Palmfett beispielsweise ist nicht nur billiger und leichter zu verarbeiten, die Riegel werden damit auch härter und lassen sich selbst im Sommer länger lagern. Damit beginnt für die Feinschmecker der Verrat: Nur bei Kakaobutter entspricht der Schmelzpunkt genau der menschlichen Betriebstemperatur, weshalb die Schokolade im Mund so schön zergeht.

Doch die Sache ist verzwickt. Die alte Schokoladenrichtlinie von 1973, die nur Kakaobutter erlaubt, gilt lediglich in 8 von 15 EU-Ländern. In den Staaten, die der EU erst später beigetreten sind, ist eine Beimengung von 5 Prozent anderer Pflanzenfette erlaubt. Britische Hersteller dürfen daher ihre Fettprodukte derzeit nicht in Deutschland oder Belgien verkaufen. Das widerspricht den Grundregeln des europäischen Binnenmarktes und soll deshalb geändert werden. 80 Prozent des europäischen Marktes werden von sechs Multis wie Nestlé oder Mars beliefert. Sie produzieren derzeit, je nach EU- Land, mit oder ohne Zusatzfette und wünschen europaweit einheitliche Vorschriften.

Seit zwei Tagen werden deshalb die Europaabgeordneten in Straßburg von der Schokoladenlobby mit kleinen Kostproben angefüttert. Die meisten Parlamentarier sind inzwischen der Ansicht, daß die Geschmacksunterschiede minimal seien und der Verbraucher selbst entscheiden solle, womit er sich die Stimmung aufheitert. Der Streit dreht sich im Grunde nur noch um zwei Punkte: Wie auffällig muß die Fettbeimischung gekennzeichnet werden, und welche Fette sollen erlaubt sein?

Die Schokolade ist eine klassische Kolonialware. Für einige Länder Afrikas ist der Export von Kakao und Kakaobutter eine wichtige Einnahmequelle, die zu erhalten sich die EU im Kakaoabkommen von 1993 ausdrücklich verpflichtet hat. Für die Grünen im Europaparlament kommt deshalb als Kakaobutterersatz nur Palmfett oder Kokosbutter in Frage, die ebenfalls aus Entwicklungsländern eingeführt werden muß. Nach Berechnungen des belgischen Grünen Paul Lannoye leben 11 Millionen Menschen von der Kakaoernte, Staaten wie Ghana hängen zu 50 Prozent vom Kakaoexport ab. Diese Länder und damit auch die Schokolade müßten vor Margarine oder gar genmanipulierten Sojaextrakten in Schutz genommen werden.

Wie wichtig das ist, erfuhren die Abgeordneten gestern abend von einem Vertreter der Elfenbeinküste, den die Grünen eingeladen hatten. Ein bißchen richtige Schokolade hatte auch er mitgebracht. Aber da hatten viele Abgeordnete schon keinen Appetit mehr. So wie es aussieht, wird die Mehrheit im EU-Parlament heute den Vorstellungen der Schokoindustrie gerecht und lediglich ein paar Absichtserklärungen für die Entwicklungsländer einbauen, daß beispielsweise viele tropische Fette verwendet und die Schokoladenherstellung naturnah gehalten werden soll. Die konservative Fraktion hat damit kein Problem, und die Sozialdemokraten haben keine einheitliche Meinung. Danach wird die Schokoladenlobby ihre Musterkoffer für die 15 Wirtschaftsminister der EU nachfüllen, die den Parlamentsbeschluß nochmals verändern könnten.