„Wir müssen zu weiblichen Leitbildern kommen“

■ Bernd-Rüdeger Sonnen, Professor für Jugendstrafrecht und Kriminologie in Hamburg, über das Urteil

taz: Ist das Urteil des Hamburger Landgerichts zu hart?

Bernd-Rüdeger Sonnen: Es ist hart. Auch gerade im bundesweiten Vergleich. Bundesweit liegen nur etwa zehn Prozent aller Jugendstrafen bei über zwei Jahren. Über drei Jahre bekommen sogar nur drei Prozent.

Liegt das am tragischen Hintergrund – dem Tod von Mirco?

Der ist mit eingeflossen. Der Richter sprach von einer moralischen Schuld. Daran zu appellieren, war sein Verständnis von Erziehung. Jugendkriminalität ist Jungenkriminalität.

Warum ziehen Jungen in Banden los und schüchtern andere ein?

Da spielt Macht eine große Rolle, ein Überlegenheitsgefühl. In der Gruppe schaukelt man sich dann gegenseitig hoch.

Müßte hier präventive Arbeit ansetzen?

Die Gesellschaft erwartet von Männern Härte und Durchsetzungsvermögen. Wir müßten zu anderen, weiblicheren Leitbildern kommen, zur Vermittlung sozialer Kompetenz.

Bekämpft man Jugendkriminalität, indem man einzelne Jugendliche ins Gefängnis steckt?

Man hofft es. Jedoch: Das einzige Ziel im Jugendstrafrecht ist, Rückfälle zu verhindern. Man will erzieherisch auf junge Männer einwirken. Daß das im Gefängnis gelingt, bezweifle ich. 85 Prozent werden rückfällig.

Wie kann man da auf eine positive Entwicklung hoffen?

Der „schädlichen Neigung“ kann man manchmal nur gegensteuern, wenn man den Betreffenden über längere Zeit hat, wenn man ihn aus seinem Kiez rauslöst, aus seiner Bande, seinem Umfeld. Danach hofft man auf engagierte Arbeit im Gefängnis. Vieles kann aber nicht geleistet werden. Die Jungen lernen nicht, Beziehungen zu führen, erfahren nichts über ihr Rollenverhalten im Umgang mit Frauen. Und für Opferbelange kann man sie dort auch kaum sensibilisieren. Die „Stubbenhofer“ haben einer jungen Frau ihre Sozialhilfe weggenommen, mit der sie sich und ihr Baby ernähren mußte.

Wie sollte man da reagieren?

Hier wäre der Täter-Opfer- Ausgleich optimal gewesen. Im angeleiteten Gespräch mit der jungen Frau hätten die Täter sich in die Opfersituation reinversetzen müssen. Interview: Elke Spanner