Krautzun erkennt seine Handschrift

■ Der FC St. Pauli geht gelassen optimistisch in die Spielzeit 98/99 der Fußball-Regionalliga Nord

Es ist heiß in dieser Nacht, doch zum Glück erfrischt eine leichte Brise vom Hafen den Kiez. Sämtliche Freiluft-Cafés sind überfüllt. Nur ein Mann arbeitet noch besessen. Eckhard Krautzun kann sich keinen Müßiggang leisten: In wenigen Tagen muß sein FC St. Pauli zum ersten Regionalliga-Spiel der Saison 98/99 bei den Sportfreunden Ricklingen antreten.

Der Mann, den seine Freunde den „Menotti von Heppenheim“nennen, sitzt in seinem mondänen Trainerzimmer am Millerntor und starrt gebannt auf den Video-Bildschirm, wo gerade der Mitschnitt eines Ricklinger Testspiels gegen eine Hannoversche Uni-Auswahl läuft.

„Mon dieu!“entfährt es dem polyglotten Fußball-Gelehrten. „Die Ricklinger spielen ja einen flotten Ball.“Kickers Emden, Hasetal Herzlake und der SV Wilhelmshaven, deren Vorbereitung der weitsichtige Stratege genauso akribisch analysiert hat, haben ihn ebenfalls „beeindruckt“.

Doch Angst hat der notorisch nachdenkliche Rundleder-Philosoph nicht: „Ernährungswissenschaftlich haben die noch erhebliche Defizite.“Der alte Fuchs geht optimistisch in die neue Serie. „Schon beim 0:3 im letzten Zweitliga-Spiel bei Unterhaching habe ich Ansätze meiner Handschrift erkennen können. Der Trend hat sich im Trainingslager fortgesetzt“, freut sich der visionäre Kick-Konzeptkünstler.

Besonders große Stücke hält der Kosmopolit auf den 41jährigen Michael Dahms, der vom Oberligisten Halstenbek/Rellingen ans Millerntor zurückgekehrt ist. „Er bringt die Erfahrung mit, um das Loch auf unserer linken Abwehrseite zu stopfen.“

Ohnedies setzt Eckhard Krautzun wieder auf Routine. Der bisherige Co-Trainer Gerd Kleppinger, 40, hat seinen Stammplatz sicher, gleichfalls dessen Vorgänger, der 37jährige Dieter Schlindwein. Für die Offensive wurde Frank Neubarth reaktiviert, vormals Spieler des SC Concordia und Profi bei Werder Bremen. „Ich will meine Karriere in Hamburg beenden“, seeligert der einstige „Mister Europacup“.

Als neuen Mannschaftskapitän hat Krautzun seinen Fußball-Gott Karl Werner bestimmt, obwohl Carlo im Frühjahr mit drei Eigentoren gegen den SV Meppen St. Paulis Abstieg besiegelt hatte. „Das kann passieren, auch Jürgen Kohler ist gegen so etwas nicht gefeit“, entschuldigt Krautzun.

Sein Präsident erwartet nicht, daß das Team die Liga sofort beherrscht. „Die neuen Spieler müssen erst zu einer Einheit werden. Herzlake wurde auch nicht an einem Tag erbaut“, weiß Heinz Weisener. Der Fußball-Gourmet schnalzt schon jetzt mit der Zunge, wenn er an das Duell mit dem Regionalliga-Aufsteiger denkt: „Ein echter Klassiker und veritabler Leckerbissen für unsere treuen Fans.“Ob das Heimspiel gegen die HSV-Amateure ins Volksparkstadion verlegt wird, mochte der weise Grandseigneur unter den deutschen Vereinsbossen noch nicht sagen. „Wir werden diese Möglichkeit sorgfältig prüfen.“

Daß einige Besserwisser wieder einmal Unruhe ins Umfeld bringen wollen, erträgt Weisener mit bewundernswerter, staatsmännischer Gelassenheit. Die defätistischen Miesmacher hatten geunkt, die Anhänger würden den Wechsel des Hauptsponsors – „Biovital“statt „Jack Daniel's“– mit Konsumverzicht quittieren. Doch weit gefehlt! Wie die taz aus sicherer Quelle erfuhr, sind die Schlindwein-Trikots mit der Rückennummer 37 seit Wochen ausverkauft. René Martens