Pränatal? „Weil man das so tut“

■ Ethikkommission legt Ergebnisse vor: Weder Pro noch Contra

Böse Zungen würden sagen: Die Kommission hat zwei Jahre getagt, und herausgekommen ist die Absicht, eine Broschüre zu drucken. Gestern legte die 1995 vom Bremer Gesundheits- und Bildungsressort gegründete „Beratende Kommission Humangenetik“ihren Abschlußbericht vor. Gesundheitssenatorin Christine Wischer faßte die Ergebnisse so zusammen: 1) Die Diskussion über vorgeburtliche Diagnostik gehört in die Öffentlichkeit. 2) In Bremen muß es ein umfassendes, sowohl die medizinischen als auch die genetischen und psychosozialen Aspekte einschließendes Beratungsangebot geben. 3) Fortbildung der Berater ist notwendig. Konkret faßbare Konsequenzen der Kommissionsarbeit sind bislang ein Briefwechsel der Behörde mit der Bremer Ärztekammer, aus dem hervorgeht, daß sich die Mediziner nur ungern ins Handwerk pfuschen lassen. Und die mit Entschiedenheit vorgetragene Absicht, für ratsuchenden Schwangere eine Informationsbroschüre herauszugeben.

Die Einrichtung der auf Länderebene ersten humangenetischen Ethikkommission 1995 in Bremen wurde damals in der Öffentlichkeit so verstanden, daß mit ihrer Hilfe dem „Zentrum für Humangenetik und humangenetische Beratung“an der Uni Bremen auf die Finger geschaut und dessen Beratungstätigkeit ethisch bewertet werden sollte. Besonders bei der vorgeburtlichen Diagnostik stellen sich nämlich hochbrisante Fragen: Ist das routinemäßige Abtreiben von geschädigten Föten behindertenfeindlich? Was bedeutet es für das Selbstverständnis von Schwangeren, wenn sie bis zur 20. Woche keine Windeln kaufen, weil das Untersuchungsergebnis noch nicht vorliegt? Wer bewertet, welches Leben leben darf? An der Tragweite solcher Fragen drohte die Kommission zunächst zu zerbrechen – wo ethische Antworten gefunden werden sollten, war die Frage der Besetzung der Kommission entscheidend. Am Ende einigten sich der Einfachheit halber Ärzte (auch katholische), Juristen, Behindertenhelfer und Politiker darauf, die Ethik auszuklammern und nur eine Verbesserung der Beratungssituation in Bremen zu beschreiben und zu fordern. Letzteres geschah einstimmig.

Jurist und Kommissionsmitglied Robert Francke beschreibt, wie er sich eine ethisch neutrale humangenetische Beratungstätigkeit vorstellt: „Man muß den Ratsuchenden in die Lage versetzen, eine für sich richtige Entscheidung zu treffen.“Die Fortschritte der Vorgeburtsdiagnostik wirken eher entgegengesetzt. Die Medizinmaschine läuft fast automatisch, eine Fruchtwasseruntersuchung, so Francke, ist heute „medizinischer Standard“. Schwangere ab 35 werden vom Arzt darauf hingewiesen, daß eine Fruchtwasseruntersuchung angebracht ist. Die zweite von drei vorgeschriebenen Ultraschalluntersuchungen muß den Fötus auf Fehlbildungen absuchen. Sozialer und ärztlicher Druck führen dazu, daß die Option, ein behindertes Kind auszutragen, fast theoretisch wirkt. Die Humangenetikerin Regina Albrecht weist darauf hin, daß man eine Fruchtwasseruntersuchung heute meist „gedankenlos“akzeptiere, „weil man das so tut“, und daß oft „vorschnell abgebrochen“werde.

Beratungsbedarf besteht. Kommissionsmitglied Eva Schindele, Gründungsmitglied von Cara, der zweiten Bremer humangenetischen Beratungsstelle, hat festgestellt, daß die wenigsten Frauen wissen, was ein Schwangerschaftsabbruch in der 20. Woche, wenn die Testergebnisse vorliegen, bedeutet: eine eingeleitete Geburt. Regina Al-brecht beklagt, daß selbst solche Frauen die nicht ungefährliche Fruchtwasseruntersuchung vornehmen ließen, bei denen die Gefahr eines kranken oder mißgebildeten Fötus sehr gering sei. Schon alleine die Angst vor einem behinderten Kind indiziere eine pränatale Diagnose.

Das Abschlußpapier der Kommission hat appellativen Charakter. Die Behörde wird zum Beispiel aufgefordert, regelmäßig Informationsveranstaltungen zu organisieren. Aus dem Hause der Gesundheitssenatorin war zu hören, daß über die Wiedereröffnung der 1995 eingesparten humangenetischen Beratungsstelle im Gesundheitsamt zumindest nachgedacht wird. Es wäre schon ein Erfolg, wenn demnächst in einer hilfreichen Broschüre für Schwangere immerhin drei Bremer Beratungsadressen stünden. BuS