Zwischen den Rillen
: All you heard about black men is true

■ Goldkettchensoul von Boyz II Men und leicht Angepopptes von LL Cool J

Boyz II Men sind groß. Riesengroß. In ihren Videos tragen sie von Kopf bis Fuß weiß und stehen auf hohen Wüstendünen oder sitzen an murmelnden Bächen. Oder sie sitzen im Leinenanzug auf Ledersofas. Böswillige nennen es Schmalz, für Zyniker ist es der Sonntagmorgen- Sound von goldkettentragenden 3er-BMW-Fahrern, für alle anderen ist es einfach Soul. Oder Motown: denn den Sound gibt es noch. Auch als Teil des Majors Polygram sendet Motown weiter. Und mit Boyz II Men ist es erfolgreich wie nie zuvor. Boyz II Men entsprechen dabei in etwa Smokey Robinsons Miracles, wenn man Blackstreet, die andere R&B-Supergroup, die allerdings woanders veröffentlichen, die Rolle der Temptations zubilligt.

ALs Boyz II Men vor fünf Jahren mit ihrem Debütalbum „Cooleyhighharmony“ die Szene betraten, standen sie für die Adoleszenz, für das Zwischenstadium, kein Junge mehr und noch kein Mann zu sein und die daraus entstehenden Konflikte im Zweifelsfall auf platonischer Ebene zu lösen. Und nun, beim dritten Album „Evolution“, gehört der Name zur Corporate identity, und wessen Name in den letzten Jahren 30millionenmal über den Ladentisch gegangen ist, wird den Teufel tun, ihn zu ändern.

Den Teufel tun Boyz II Men sowieso nicht. Alle vier danken im Booklet Gott dem Vater für seine Unterstützung, und jede Antidrogen- und Anti-Vorehelicher-Sex-Elternorganisation wäre erfreut über die Lyrics des Quartetts. Da geht es vor allem darum, daß Liebe heute ein seltenes Gut ist, daß der Sommer vorbei und es ganz schön kalt ist alleine oder daß Liebe bedeutet, bei Wind und Wetter füreinander einzustehen.

Doch wer hört schon so genau auf Inhalte, wenn die Form perfekt ist. Wenn die Gesangsharmonien stimmen. Kurz: Wenn man der Neunziger-Variante des Motown-Sounds lauscht. Dafür ist alles, was Rang und Namen unter den Black-Music-Produzenten hat, mit einem oder zwei Tracks dabei. Babyface, der omnipräsente Puff Daddy sowie Jimmy Jam und Terry Lewis, die auch das neue Janet-Jackson-Album produziert haben.

Stücke, die um die Gewissensprobleme eines Mannes kreisen, der nicht weiß, ob er mit seiner Freundin schlafen kann, ohne die Beziehung zu riskieren – wie „All night long“ von Boyz II Men – summt LL Cool J nicht einmal, wenn er sich den Schnürsenkel seiner Sneakers zubindet. Wo Boyz II Men den Schwanz einziehen, faßt sich Lady's Lover Cool James in den Schritt. Wo Boyz II Men für die Sonntagsschüler stehen, die im Kirchenchor singen gelernt haben, da ist LL Cool J der schwarze Lover. All you ever heard about black men is true. Seit er 13 ist, ist er im Geschäft, hatte die erste Single und das erste Album auf dem legendären Def-Jam-Label und hat mit 20 Millionen Platten zwar weniger verkauft als Boyz II Men, aber mehr als jeder andere Rapper. Mit 16 Jahren hatte er den ersten Rap-Titel an der Spitze der amerikanischen Charts, jedes seiner sechs Alben wurde bisher mit Platin ausgezeichnet. Mit 28 ist er heute der unangefochtene Elder statesman des HipHop. Da ist es an der Zeit, seine Autobiographie zu schreiben, eine neue Platte herauszubringen und das Image ein bißchen weiterzudrehen.

An den Grundlagen wird dabei natürlich nicht gerüttelt. Daß LL der größte Liebhaber im Business ist, steht weiterhin außer Frage, daß er mit Gewalt nichts am Hut hat auch – doch nachdem man zum 50. Geburtstag des Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeladen worden ist, kann man ja nicht einfach weitermachen wie gehabt und aus gläsernen Schaumbadewannen rappen oder es Frauen durchs Autotelefon machen, deren Männer es nicht bringen. Also, keine Knaller mehr vom Stil „Doin' it“, dem Stück, das Serge Gainsbourg und Jane Birkin hätte erröten lassen, wäre es unzensiert auf MTV gelaufen. Zwar haben LL und LeShaun mit „Nobody can freak me“ eine Fortsetzung aufgenommen, doch die hört sich an, als ob die beiden eigentlich schon alles gesagt hätten. Wenn Superlover, dann lieber als Naked-Funk- Heroe im Rick-James-Stil, bekleidet mit nichts außer einer roten Lacklatzhose, Goldketten und einer Sonnenbrille, wie im Video des Titeltracks. Das ist der einen Ausnahmestellung wesentlich adäquat.

Ansonsten gibt es mit „Father“ ein Stück über das Leiden an einem gewalttätigen, drogenabhängigen Vater – ausgerechnet über einen Loop aus „Fatherfigure“ von George Michael gerappt –, der mit der Zeile „too long for a song / but perfect for a book“ auf die parallel in den USA erscheinende Autobiografie „I make my own rules“ verweist. Und außerdem repräsentiert Queens natürlich mächtig: Auch der Präsident des HipHop vergißt nicht, aus welchem Viertel er kommt.

Musikalisch hält „Phenomenon“ den gängigen HipHop- Standard. Keine wilden Beats mehr, wie noch zu Beginn der Karriere, aber auch keine ungewöhnlichen Sounds wie auf „Pinkcookies in a plastic bag“. Mit Puff Daddy, Method Man und Busta Rhymes sind zwei der üblichen HipHop-Verdächtigen dabei, und die Stücke rollen leicht angepoppt vor sich hin. Tobias Rapp

Boyz II Men: Evolution (Motown/Motor)

LL Cool J: Phenomenon (Def Jam/Mercury)