Das ist unser Tisch!

TripHop, Tagtraum, Hirngewinde, Schlüsselreize: Laub sind die erste Berliner Band einer neuen Zeitrechnung  ■ Von Thomas Winkler

Das gibt es zu sehen: eine Frau, etwas blaß, hübsch, schmal, mit schwarzen Haaren. Einen Mann, der nicht weiter auffällt, kurze Haare, in einer altmodischen Trainingsanzugjacke, wie man sie heute so trägt. Eine Gitarre, die nicht klingt wie eine Gitarre. Ansonsten Elektronik, Breakbeats, Samples. Nennen wir diese Elemente jetzt mal „Schlüsselreize“. Diese Kombination aus Schlüsselreizen schreit geradezu: TripHop.

Aber diesmal ist nicht alles, wie es scheint. Nur oberflächlich geben Laub jenes klassische Duo ab, ist jene Produktionseinheit Mann/ Frau-Elektronik/Gesang intakt. Zwar sind Laub irgendwo auch TripHop. Nur: Man kann nicht dazu tanzen. Man kann auch nicht mitsingen, trotzdem sind die Melodien sehr schön.

Schichtarbeit am Traumgefüge

Es ist Herbst. „Du liebst den Moment. auf den du dich nicht verlassen kannst. nicht. mich oder dich oder irgend jemand.“ singt eine Stimme. Menschen, biertrinkend, vor einem kleinen Wald aus Hochspannungsmasten. Die S-Bahn fährt vorbei. Bahnhof Ostkreuz, hier in diesem Augenblick scheint das, was früher einmal Hauptstadt der DDR hieß, noch in Ordnung. Hier hat Antye Greie-Fuchs gesessen, als sie den Text von „Himmelblauer“ schrieb: „ein augenblick hingehaucht. verirrt.“

So weit, so gut, ist das Vermarktungstraumbild schlüssig. Doch: Hier gibt sie sich nicht mit der Vokalistinnenrolle zufrieden, statt dessen arbeitet eher er zu. Greie programmiert, schreibt die Texte und singt sie, Jürgen Kühn spielt seine verfremdete Gitarre drauf, bearbeitet die, macht sich auch an den Rhythmen zu schaffen, schlußendlich mischen sie das Ergebnis ab – zwar zusammen, aber „wir arbeiten nie gemeinsam am selben Stück“, erzählt Greie, „sondern in Schichten“. Eine Zeitlang, als Greie regelmäßig nachts in einer Kneipe arbeitete, konnte man sich nur über Zettel verständigen: „Hör dir mal Track 8 an. Was denkste?“

Der achte Track auf „Kopflastig“, dem ersten Langspieler von Laub, heißt „Tanze“. Der Titel führt in die Irre. Im Text heißt es aber: „vorsichtig ich. tanze still. lieber hock ich. mich noch einmal. hin.“ Was die Sache dann ziemlich genau trifft. Eigentlich scheinen Laub zum Tanzen gemacht mit ihren Breakbeats, mit einer gewissen kühlen Larmoyanz, die man vom TripHop her kennt. Doch leider wollen die Beats selten so, wie es der Körper braucht, sondern brechen ab, rappeln sich wieder auf, verlieren sich im Nichts, weigern sich, den Takt zu halten, oder bröckeln auseinander wie eine Westberliner Schrippe. „Draufsetzen auf den Beat“, wie Greie das nennt, nein, das kann man bei Laub nicht. „Tanze“ hat gar einige Minuten gar keine Beats.

Auf dem Küchentisch liegt das Fachblatt. Da steht drin, wer was mit welchen Geräten wie macht. Das war früher schon so, als noch Maschinen aus der Steinzeit zwischen Gitarre und Verstärker geschaltet wurden. Das ist heute erst recht nicht anders, da die Musik oft direkt aus Maschinen kommt. Irgendwann einmal, erzählt Greie, hat sie zu ihrem Partner gesagt, „Jürgen“, hat sie gesagt, „du darfst Gitarre spielen, aber nicht wie alle anderen.“ Jürgen, der eigentlich ein Punk-Gitarrist war, guckte nicht ins Fachblatt, aber nahm sich das zu Herzen, auch wenn es „ein langer Weg war, sich von der Gitarre zu verabschieden“.

Was gelernt werden mußte, bis Laub entstehen konnte, war „ein anderer Denkansatz“. Man durfte „nicht mehr in Riffs denken“, erzählt Kühn, „man muß der Gitarre beibringen, wie ein Synthesizer zu funktionieren“. Irgendwann hat er dann wahrscheinlich auch ins Fachblatt geguckt. Und sicherlich festgestellt, daß das für ein solches Unterfangen durchaus hilfreich sein kann. Nun ist er, sagt er, „amphib“.

What you see is Computertomographie

Geboren wurde Greie in Halle, nach der Wende kam sie nach Karlsruhe. Dort machte sie „einfach Songs“ und traf auf Kühn, der wiederum aus „der Hardcore- Ecke kam, Washington D.C. und so“. Zusammen spielte man in einer Band. Ein halbes Jahr in London mit einem Commodore 64 hat für Greie dann alles verändert. Das war vor vier Jahren, „ich hatte die Schnauze voll von Gitarren“. Als sie zurück kam, mußte Kühn sich was überlegen, und die Band schrumpfte wie von selbst zum Duo.

Weil zu diesem Zeitpunkt das Leben von der Hand in den Mund nicht aushaltbar schien, gab es Versuche, mit großen Plattenfirmen anzubandeln. Die Kontaktaufnahme war nicht allzu schwierig, denn die Schlüsselreize funktionierten. Doch dann geschah das Übliche. Reinreden wollte man ihnen, eine hübsche Melodie wäre doch nicht schlecht, ein paar flotte Beats und so, ein prominenter Produzent immer zur Hand, kurz gesagt: „Es war furchtbar.“ So landete man in Berlin und doch beim Independent. „Das gesamte Produkt haben wir selbst gemacht“, vom Schreiben über Aufnahme und Produktion bis zur Covergestaltung, für die ein Freund die Computertomographien seines Schädels zur Verfügung gestellt hat.

Hier kommt dann das altbekannte, deswegen aber noch lange nicht falsche Klagelied von der Kontrolle, die man nicht verlieren darf. Zwischen den Texten ist ein Bild abgedruckt: Auf dem sitzen die beiden Endzwanziger an ihrem abgewetzten Küchentisch. Wie um zu sagen: Dann bleiben wir eben noch ein Weilchen hier, aber es ist wenigstens unser Tisch.

Um einmal den Standpunkt der Plattenfirmen einzunehmen: Laub sind der feuchte Traum eines A&R-Managers, denn sie hätten das Potential zum ersten erfolgreichen TripHop-Act aus deutschen Landen. Laub sind wie Portishead ohne deren ignorante Kühle, sind Tricky ohne dessen Klaustrophobie. Aber: Vor allem sind sie wie Laub selbst, ziemlich einzigartig nämlich. Es ist ein Klischee, aber hier stimmt es: Ein Unikat erkennen große Plattenfirmen meist nicht, so was fällt durchs Raster, weil es sich nicht anhört wie etwas anderes. Und wenn sie es erkennen, können sie es nicht vermarkten, weil sie dazu bereits existente Schubladen brauchen. „Wir wollen zwar keine Hardliner sein“, sagt Kühn, „denn das ist langweilig.“ Aber Kompromisse stehen seit dem Major-Flirt nicht mehr zur Debatte: „Wir machen unsere Lieblingsmusik.“

Glück, Philosophie, Zigarettentabak

Laub will alles, will Pop sein und Kontrolle behalten, will unterhalten und vor den Kopf stoßen. „Die Platte“, sagt Greie, „ist vielleicht nicht clever.“ Aber sie ist „mit allen Schwächen genauso, wie ich sie wollte“.

Die Hauptschwäche von „Kopflastig“, der Platte, die nicht umsonst so heißt, ist es, so hat Greie festgestellt, „daß man die Platte nicht nebenbei hören kann“. Das liegt zum einen an den bröckeligen Beats, zum anderen an den Texten und wie Greie sie singt. Die Worte erzählen von Glück und Philosophie, dem falschen Zigarettentabak, von nackten Leibern und nackten Seelen, sind also das, was man gemeinhin persönlich nennt, Nachrichten aus dem „Miniversum“, so der Titel ihrer ersten EP und des Eingangssongs von „Kopflastig“.

Doch Greie versteckt sich hinter Interpunktion und Interpretation. Zerfetzt die Sätze, ob nun schwarz auf weiß oder im Gesang, so daß sie nur schwer als solche verstehbar werden. Schmeißt Brocken hin, die mal so, mal anders zusammensetzbar sind. „Wörter zweideutig machen“, nennt sie das. Viel wichtiger als die Bedeutung ist sowieso, „daß die Sprache fließt“, sie spricht vom Flow, nach dem auch die Rapper suchen. Am Anfang steht bei Laub immer der Groove, und der ist nun mal nicht sonderlich gerade. Also kein Wunder, wenn die Worte ähnliche Kapriolen schlagen. Was auch für die Melodieführung gilt, die die Grenze zum Manierierten immer wieder überschreitet. „Ich habe so oft den Begriff Schlager um die Ohren bekommen“, sagt Greie, das sei immer so, wenn man „emotionale Texte singt“. Also ist sie jetzt auf der Suche „nach Abgrenzungen, nach einem ganz eigenen Gesangsstil“.

Auf der Bühne aber bleibt von den bewußten Entscheidungen, von den ziselierten Strukturen nicht allzuviel. „Live rocken wir“, sagt Kühn. Demnächst auch mit festem Schlagzeuger, den man sich von Kante, den Labelkollegen von Kitty-Yo, ausleiht. Doch vorerst drückt Greie zu Beginn eines jeden Stücks einen Knopf auf ihrem Keyboard, singt dann schräg gebeugt über ihrem Mikrophon ziemlich bellend, der Rhythmus ist plötzlich irgendwie 4/4, und Kühn spielt nicht nur Gitarre, es hört sich auch wieder so an. „Ja“, sagt Greie, „so was passiert, wenn man improvisiert. Da müssen wir noch dran arbeiten.“

Aber vielleicht ist Gitarrist Kühn ja doch nur ein konvertierter Punk, Sängerin Greie eine zu spät gekommene Joni Mitchell und Laub ein Mißverständnis zwischen Elektronik und neuer deutscher Befindlichkeit? Andererseits ist die Welt momentan ja so: Die Mädchen entdecken love, peace and unity als Clearasil-Ersatz, die Jungs früh ihren Wunsch nach einem Waschbrettbauch, zusammen geht man auf Raves, wird Sex gemacht und werden Drogen genommen. Eigentlich ist alles wie früher. Eigentlich ist alles ganz anders.